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Wenn es um das Thema Ergänzungstraining geht, gibt es grundsätzlich drei Arten von Läufern:
- In die erste Gruppe fallen Typen wie Florian Neuschwander, die sich offen dazu bekennen, keinerlei Ergänzungstraining zu machen, und trotzdem nie verletzt zu sein scheinen.
- Die zweite und größte Gruppe besteht aus Läuferinnen und Läufern, die nie oder nur sporadisch Ergänzungstraining machen, obwohl sie genau wissen, dass sie es eigentlich (häufiger) tun sollten.
- Und für die dritte Gruppe gehört ein abwechslungsreiches Ergänzungstraining fest zum Trainingsprogramm. Ich denke da zum Beispiel an unseren veganen Lauffreund und Bewegungsexperten Dominik Albrech.
Wenn du zum Typ „Florian Neuschwander“ oder „Dominik Albrech“ gehörst, möchte ich dir an dieser Stelle herzlich gratulieren und dir weiterhin viel Spaß und Erfolg beim Laufen wünschen.
Aber wenn du dich am ehesten in der zweiten Gruppe wiedererkannt hast, dann darfst du jetzt weiterlesen.
Ich kann dir natürlich keine Florian-Neuschwander-Gene implantieren. Aber ich kann dir zeigen, wie du das so wichtige Ergänzungstraining mit einfachen Routinen und Gewohnheiten zu einem festen Bestandteil deines Trainingsalltags machst – und sogar den Spaß daran entdeckst!
Beitragsübersicht
Was bedeutet „Ergänzungstraining“ überhaupt?
Bevor wir ans Eingemachte gehen, müssen wir aber erstmal eine grundsätzliche Frage klären: Was ist überhaupt damit gemeint, wenn wir von „Ergänzungstraining“ sprechen?
Hier ist meine persönliche Definition:
Das Ergänzungstraining umfasst alle zusätzlichen Trainingsmaßnahmen neben dem Laufen, die deine laufspezifische Beweglichkeit und Athletik verbessern und dein Verletzungsrisiko auf ein Minimum reduzieren sollen.
Aus dieser Definition geht auch hervor, was alles kein Ergänzungstraining ist: Wenn du neben dem Laufen auch Schwimmen, Radfahren oder Fußballspielen gehst, dann übst du diese Sportarten in der Regel zum „Selbstzweck“ aus – und nicht, um damit z.B. gezielt an deinen läuferischen Schwachstellen zu arbeiten.
Ich würde solche Aktivitäten deshalb eher als „Alternativsport“ bezeichnen, wobei die Übergänge hier natürlich fließend sind.
Die vier Bereiche deines Ergänzungstrainings
Dein Ergänzungstraining sollte aus vier Bereichen bestehen, die sich teilweise auch überschneiden:
- Allgemeines Beweglichkeitstraining
- Faszientraining und Massage
- Allgemeines Kraft- und Stabilitätstraining
- Spezifische Arbeit an deinen Schwachstellen
Im Folgenden schauen wir uns die einzelnen Bereiche erst einmal genauer an, und dann zeige ich dir, wie ein Basisprogramm für dein Ergänzungstraining aussehen kann, das sich mit einem überschaubaren Zeitaufwand in deine Trainingswoche integrieren lässt.
#1 Allgemeines Beweglichkeitstraining
Eine gute Beweglichkeit ist die Voraussetzung für einen effizienten Laufstil. Wenn dir zum Beispiel Beweglichkeit im Hüftgelenk fehlt, dann kannst du die Hüfte in der Abdruckphase nicht optimal nach hinten durchstrecken und verlierst einen Teil der möglichen Vortriebskraft.
Mangelnde Beweglichkeit ist eine weit verbreitete Schwachstelle bei Läufern. Zum einen sorgt die recht monotone, eindimensionale Laufbewegung dafür, dass bestimmte Muskeln mehr Kraft entwickeln als andere – und dieses muskuläre Ungleichgewicht kann die Beweglichkeit einschränken.
Zum anderen arbeiten die meisten Menschen in Deutschland heute in Berufen, die ihnen nur noch wenig Bewegung abverlangen bzw. ermöglichen. Viele Menschen verbringen den größten Teil des Tages im Sitzen oder Stehen und reizen den möglichen Bewegungsspielraum ihres Körper so gut wie nie richtig aus.
Erschwerend kommt noch hinzu, dass wir heute eine regelrechte Bewegungs-Vermeidungs-Kultur geschaffen haben, in der wir unser Umfeld so gestalten, dass wir alles mit möglichst wenig Bewegung und Aufwand erledigen können – denk zum Beispiel an „ergonomisch“ eingerichtete Arbeitsplätze oder Küchen, in denen man sich kaum noch einmal bücken oder strecken muss, um etwas zu erreichen.
Aus diesen Gründen gehören Übungen für die allgemeine Beweglichkeit in jedes Ergänzungstraining für Läufer. Du kannst z.B. ganz klassische Dehnungsübungen durchführen, aber auch Yoga eignet sich hervorragend, um deine Beweglichkeit zu verbessern.
In den folgenden Beiträgen findest du weiterführende Infos und Ideen für dein Beweglichkeitstraining:
- Die 9 wichtigsten Stretching-Übungen für Läufer
- Mehr Bewegung im Alltag (Interview mit Dominik Albrech)
- Yoga ohne Studio: 20 Blogs, Videos und Apps zum Selbstlernen
(Wenn du bereits „von Natur aus“ zu den überdurchschnittlich beweglichen Menschen gehörst und z.B. ohne Probleme mit durchgestreckten Beinen die Handflächen auf den Boden bringen kannst, dann kannst du ggf. auf gezieltes Beweglichkeitstraining verzichten.)
#2 Faszientraining und Massage
Die Faszien gehören zum sogenannten Bindegewebe und umschließen als großflächiges Netz deine Muskeln, Organe und Knochen. Oft werden sie zur Veranschaulichung mit den weißen „Häutchen“ in einer Grapefruit verglichen, die dem Fruchtfleisch (= unseren Muskeln und Organen) erst ihre Struktur und Festigkeit geben.
In den letzten Jahren sind die Faszien stärker in den Fokus der (Trainings-)Wissenschaft gerückt. Es wird vermutet, dass ihre Rolle für die Beweglichkeit sowie bei der Entstehung von Verletzungen, Muskelkater, chronischen Schmerzen etc. größer ist als man bislang dachte.
In diesem Zusammenhang hat das „Faszientraining“ einen Boom erlebt, insbesondere in Form der Faszienrolle*, die man inzwischen in allen denkbaren Größen, Stärken, Ausführungen und Preisklassen kaufen kann.
Die Faszienrolle eignet sich aber nicht nur zur Bearbeitung der Faszien, sondern das Rollen hat immer auch einen Massageeffekt auf die Muskulatur. Deshalb fasse ich diese beiden Aspekte unter der gemeinsamen Überschrift „Faszientraining und Massage“ zusammen.
Auch wenn hinsichtlich der Wirksamkeit des Faszientrainings noch viele Fragen offen sind, ist es sicherlich eine gute Idee, die durch das Laufen stark beanspruchte Muskulatur durch Massagen oder eben mit Hilfe einer Faszienrolle zu lockern und lokale Verhärtungen aufzulösen. Auch Golf- oder Lacrossebälle, Nudelhölzer und andere Hilfsmittel können gute Dienste leisten, um tiefer sitzende Muskeln und „Problemzonen“ zu erreichen.
Einen ausführlicheren Einblick in das Thema Faszientraining und konkrete Übungen mit der Faszienrolle findest du in den folgenden Beiträgen:
- Faszientraining: Warum du auch mal rollen und federn solltest (statt immer nur zu laufen)
- Blackroll-Training für Läufer
#3 Allgemeines Kraft- und Stabilitätstraining
Der dritte Bestandteil deines Ergänzungstrainings sind Übungen für deine allgemeine Kraft und Stabilität. Insbesondere steht hier die Körpermitte (Rumpf und Rücken) im Fokus, aber auch die Gesäß- und Beinmuskulatur solltest du gezielt stärken.
Zusätzliches Kraft- und Stabilitätstraining ist für Läufer aus den gleichen Gründen ein Muss wie das Beweglichkeitstraining: Die Laufbewegung ist recht monoton und einseitiges Lauftraining kann deshalb zu einem muskulären Ungleichgewicht führen.
Der ebenfalls bereits angesprochene Bewegungsmangel im Alltag trägt natürlich auch seinen Teil dazu bei, dass viele Läufer muskuläre Defizite haben. Und genau solche muskulären Defizite sind eine der häufigsten Ursachen für chronische Laufverletzungen wie z.B. Kniebeschwerden oder Achillessehnenreizungen.
Es gibt jede Menge Möglichkeiten, wie du das allgemeine Kraft- und Stabilitätstraining umsetzen kannst – vom freien Training oder Kursen im Fitnessstudio über Crossfit, Bootcamp und Co. bis hin zum Training mit einfachen Hilfsmitteln zu Hause … die Hauptsache ist, dass du es regelmäßig machst und langfristig dranbleibst.
Katrin und ich führen unser Krafttraining am liebsten zu Hause durch und setzen dabei auf Übungen mit dem eigenen Körpergewicht und einigen minimalistischen Trainingstools wie Gummibändern* oder Kettlebells*.
In den folgenden Beiträgen findest du weitergehende Infos und Übungen für diese einfache und zeitsparende Art des Kraft- und Stabilitätstrainings:
- Ein Heim-Fitnessstudio für weniger als 200 Euro
- 20-Minuten-Zirkeltraining für Läufer:innen – Grundlagen und Beispiel-Programme
- Krafttraining für Läufer:innen – 25 Übungen, die dich stärker (und schneller) machen
#4 Spezifische Arbeit an deinen Schwachstellen
Bis jetzt haben wir nur über allgemeine Maßnahmen gesprochen, die für alle Läufer:innen gleichermaßen gelten – und die sozusagen die „Basiskomponente“ des Ergänzungstrainings darstellen.
Wenn du ein allgemeines Beweglichkeits-, Kraft- und Stabilitätstraining umsetzt und deine Muskulatur und Faszien regelmäßig mit Massagen oder einer Faszienrolle lockerst, dann hast du bereits sehr gute Voraussetzungen für deinen Erfolg als Läufer:in geschaffen.
Du solltest nun deinem Ergänzungstraining noch den Feinschliff verpassen, indem du es um gezielte, individuelle Übungen und Maßnahmen ergänzt, die deine persönlichen Schwachstellen und Problembereiche ansprechen.
Diese Schwachstellen zu identifizieren und die „richtigen“ Übungen für dich zu finden, ist natürlich leichter gesagt als getan. Du solltest das Ganze deshalb als einen langfristigen Prozess betrachten und immer offen für neue Ideen und Ansätze sein, mit denen du dein Ergänzungstraining optimieren und noch besser an deine individuellen Bedürfnisse anpassen kannst.
Wenn du diesen Prozess gerne etwas beschleunigen möchtest – oder bereits akute Verletzungsprobleme hast – dann empfehle ich dir, vorübergehend oder auch dauerhaft z.B. mit einem Physiotherapeuten oder lauferfahrenen Personal Trainer zusammen zu arbeiten.
In den folgenden Beiträgen findest du zahlreiche Tipps und Übungen für ganz spezielle Läuferprobleme. Sie können dir als Ausgangspunkt für die individuelle Komponente deines Ergänzungstrainings dienen:
- Spezielle Tipps und Übungen bei Achillessehnen-Schmerzen
- Spezielle Tipps und Übungen bei Shin Splints / Schienbeinkanten-Syndrom
- Spezielle Tipps und Übungen bei ITBS / Läuferknie
- 9 Tipps und Übungen für starke Füße
Ergänzungstraining: Dein Basisprogramm
Das sind also die vier Basiskomponenten deines Ergänzungstrainings. Aber wie könnte nun dein Ergänzungstraining ganz konkret aussehen und sich in deine Trainingswoche einfügen?
Hier ist meine Empfehlung:
- täglich 15 Minuten Stretching/Beweglichkeit und Faszientraining/Massage
- täglich 10 Minuten Schwachstellen bearbeiten
- 2-3 x pro Woche 30 Minuten Kraft- und Stabilität (Yoga, Zirkeltraining, Crossfit, Kurse etc.)
Insgesamt kommen wir damit auf ca. 35-40 Minuten Ergänzungstraining pro Tag. Vielleicht erscheint dir das auf den ersten Blick ziemlich viel – aber es ist alles eine Frage der Prioritäten: Wie viel Zeit verbringst du jeden Tag mit Social Media, Fernsehen, Netflix und Co.? Kannst du hier noch etwas Zeit einsparen, die dir dann für das Ergänzungstraining zur Verfügung steht?
Außerdem täuscht diese Zahl darüber hinweg, dass du ja nicht jeden Tag 40 Minuten am Stück trainieren musst, sondern sich viele der Übungen in Form von kleinen „Ritualen“ und Routinen in deinen Alltag einfügen lassen – dazu gleich noch mehr.
Praktische Tipps für dein Ergänzungstraining
Zum Abschluss möchte ich dir jetzt noch ein paar Tipps mit auf den Weg geben, mit denen dir das Ergänzungstraining leichter fallen wird.
#1 Rituale und Routinen entwickeln
Weiter oben habe ich bereits anklingen lassen, dass sich ein großer Teil des Ergänzungstrainings bereits über kleine „Rituale“ und Routinen in den Alltag integrieren lässt. Solche Rituale helfen dir außerdem dabei, das Ergänzungstraining in Gewohnheiten zu überführen – eine wichtige Voraussetzung dafür, dass du langfristig dranbleibst.
Insbesondere das Beweglichkeitstraining und das Faszientraining bzw. die (Selbst-)Massage lassen sich sehr gut in Morgen- oder Abendrituale einbetten. Du könntest z.B. direkt nach dem Aufstehen ein Glas Wasser trinken und dir dann 10-15 Minuten Zeit nehmen, um Rücken, Oberschenkel und Waden auszurollen, ein paar Dehnübungen zu machen und dich einer individuellen „Schwachstelle“ zu widmen.
Auf diese Weise hättest du direkt morgens einen Teil deines Ergänzungstrainings erledigt und gleichzeitig die Steifigkeit und Müdigkeit der Nacht abgelegt, um voller Energie und gut „aufgewärmt“ in den Tag zu starten.
Auch die Zeit vor dem Zubettgehen eignet sich hervorragend für ein solches Ritual, und vielleicht findest du noch weitere Zeitfenster in deinem Tagesablauf, in denen du eine kurze Stretching- oder Faszienroutine unterbringen kannst.
#2 Hürden minimieren
Je weniger Hürden zwischen dir und deinem Ergänzungstraining stehen, desto höher ist die Chance, dass du es auch wirklich machst. Eine einfache, aber sehr wirksame Maßnahme ist, dass du dir einen festen Trainingsplatz einrichtest, an dem du jederzeit sofort ins Training einsteigen kannst.
Bonuspunkte gibt es, wenn dieser Trainingsplatz an einem Ort ist, an dem du häufig vorbeikommst, so dass du regelmäßig an dein Training erinnert wirst.
Bei Katrin und mir sieht das so aus, dass wir morgens direkt nach dem Aufstehen unseren Futon zusammenrollen und unser Schlafzimmer in ein Trainingszimmer verwandeln: Wir breiten unsere Yogamatten aus und legen diverse Faszienrollen und – Bälle, unser Balance Pad* und ein paar Rubber Bands* bereit.
Da wir mehrmals am Tag an unserer Schlafzimmertür vorbeigehen, werden wir immer wieder an das Ergänzungstraining erinnert und können jederzeit einige Übungen durchführen, ohne erst noch etwas aufbauen und hervorholen zu müssen.
#3 Positive Einstellung
Mein letzter Tipp betrifft deine Einstellung zum Ergänzungstraining. Die meisten Läufer:innen sehen das Ergänzungstraining als eine lästige Pflicht, und das ist sicherlich auch der Grund dafür, weshalb es oft so sehr vernachlässigt wird.
Auf der einen Seite kann ich das gut verstehen. Wir sind schließlich Läufer geworden, weil wir gerne laufen – unsere wertvolle und begrenzte Freizeit möchten wir deshalb am liebsten in Laufschuhen verbringen.
Du kannst das Ergänzungstraining aber auch als etwas sehen, mit dem du dir etwas Gutes tust. Als eines der verschiedenen Dinge, die du machst, um deinen Körper zu pflegen und in Schuss zu halten – genau wie das heiße Bad, der Saunabesuch oder eine Meditation.
Wenn du mit dieser positiven Einstellung an das Ergänzungstraining herangehst, dann verliert es schnell seinen Schrecken und verwandelt sich in eine weitere Möglichkeit, wie du dir im hektischen Alltag etwas mehr Zeit für dich selbst nehmen kannst.
PS: Welche Fragen zum Ergänzungstraining sind jetzt noch offen geblieben? Siehst du etwas ganz anders als ich? Welche Tipps kannst du noch ergänzen? Ich freue mich über dein Feedback in den Kommentaren!
Magdalena
Liebe Katrin, lieber Daniel,
ein toller informativer und sehr übersichtlicher Beitrag! Vielen Dank dafür 🙂 Und auch allgemein für eure Arbeit – ich lese und höre (Podcast) euch begeistert jede Woche und habe schon so viele Inputs für mich mitgenommen (Laufen, Training, Ernährung etc.). Ihr bevegt einfach 😉
Liebe Grüße aus Wien
Daniel
Vielen Dank für das Lob Magdalena – wir freuen uns sehr, dass dir unsere Beiträge und Podcasts gefallen und helfen 🙂
Otto
Hallo ihr beiden und Lieben Dank Daniel für den tollen Beitrag zum Ergänzungstraining. Ich selbst finde das Ergãnzungstraining fast schon wichtiger als das tägliche Lauftraining an sich. Schützt es mich doch vor Verletzungen und Dysbalancen. MfG.
Daniel
Tolle Einstellung Otto – ich wünsche dir weiterhin vielen verletzungsfreie Laufjahre!
Halka
Liebe Kathrin, lieber Daniel,
vielen Dank für Eure tolle Seite, mit den vielen hilfreichen und nützlichen Tipps.
Ich kann mich am besten zum Krafttraining oder Yoga motivieren, indem ich mir nicht zu viel vornehme, pro Einheit ca. 5 bis 8 Minuten, kostet wenig Überwindung und wenn ich einmal dabei bin, mache ich meistens doch länger 🙂
Liebe Grüße
Katrin
Hallo Halka,
perfekt – so ähnlich machen wir es auch! Manchmal starten wir nur mit einer Übung, und dann werden 20 Minuten draus 🙂
Viele Grüße
Katrin