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Du schnürst deine Laufschuhe und begibst dich nach einem langen Arbeitstag auf deine Hausrunde. Den ganzen Tag hast du dich schon auf diese eine Stunde gefreut. Und dann, nach ein paar hundert Metern, spürst du plötzlich einen stechenden Schmerz in der vorderen Schienbeinkante.
Vielleicht klingt der Schmerz während deiner Laufrunde wieder ab, und wenn du zu Hause ankommst bist du (zumindest vorübergehend) wieder schmerzfrei. Es kann dir aber auch passieren, dass dich das Stechen in deinem Schienbein während deines kompletten Laufs begleitet. Oder die Schmerzen werden so stark, dass du deinen Lauf sogar abbrechen musst.
Nach der Belastung und in Ruhe spürst du nichts. Aber beim nächsten Lauf ist der Schmerz wieder da. Und noch schmerzhafter wird es, wenn du mit den Fingern auf die vordere Schienbeinkante drückst. Vielleicht ist die Vorderseite deines Schienbeins sogar gerötet und leicht geschwollen.
Wenn diese Beschreibung auf dich zutrifft, dann könnte es sich um das gefürchtete Schienbeinkantensyndrom handeln.
Beitragsübersicht
Das Schienbeinkantensyndrom: eine häufige Läuferverletzung
Das Schienbeinkantensyndrom, auch als „Shin Splints“ oder Knochenhautentzündung am Schienbein bezeichnet, gehört zu den typischen Läuferverletzungen und ist häufig ein Zeichen für eine Trainingsüberlastung.
Der Namenszusatz „Syndrom“ weist darauf hin, dass sowohl die Symptome als auch die Ursachen von Shin Splints vielfältig sein können. Deshalb gibt es – wie so oft bei Laufverletzungen – auch nicht die eine Therapie, die immer zum Erfolg führt. Wenn es dich erwischt hat, dann solltest du deshalb verschiedene Maßnahmen ausprobieren, um deine Heilungschancen zu maximieren.
Lass uns aber zuerst mal einen Blick auf die möglichen Ursachen des Schienbeinkantensyndroms werfen.
Wodurch wird das Schienbeinkantensyndrom verursacht?
Sowohl Laufanfänger als auch fortgeschrittene Läufer können von der zum Teil sehr schmerzhaften Entzündung der Knochenhaut des Schienbeinknochens betroffen sein. Zu den möglichen Ursachen zählen unter anderem:
- Eine zu schnelle Steigerung des Trainingsumfangs: Das betrifft Laufanfänger, die nach den ersten Lauferfolgen richtig durchstarten wollen – aber auch routinierte Läufer, die zum Beispiel nach einer Trainingspause ihr Pensum zu schnell erhöhen.
- Ein Senk-Spreizfuß: Bei einem Senk-Spreizfuß handelt es sich um eine Fußfehlstellung, bei der das Längs- und das Quergewölbe des Fußes abgeflacht sind. Durch die Fehlstellung kommt es auf Dauer zu einer Überlastung des Musculus tibialis anterior (= vorderer Schienbeinmuskel), was wiederum die Knochenhaut reizen kann.
- Falsche Laufschuhe: Auch falsche Laufschuhe können die Schienbeinschmerzen auslösen. Deine Laufschuhe sollten zu dir und deinem Laufstil passen, so dass du dich darin wohlfühlst und bequem laufen kannst.
- Eine schlechte Lauftechnik: Wenn du beim Aufsetzen auf dem Boden die Zehenspitzen zu sehr nach oben ziehst, kann das auf Dauer ebenfalls den Musculus tibialis anterior überlasten und eine Entzündungsreaktion auslösen.
Vorbeugen ist besser als Heilen
Shin Splints können sehr hartnäckig sein und dich wochenlang ausbremsen. Deshalb solltest du vorbeugen und dein Training sinnvoll gestalten, um das Verletzungsrisiko zu reduzieren:
Steigere deinen Trainingsumfang nicht zu schnell
Wenn du deinen Trainingsumfang steigern willst, dann orientiere dich dabei an der 10-Prozent-Regel. Das heißt, dass du die Wochenkilometer bzw. die Trainingsdauer pro Woche um maximal 10 Prozent steigern solltest.
Wenn du zum Beispiel 40 Kilometer pro Woche läufst und dein Pensum erhöhen willst, dann steigere in der nächsten Woche um maximal 4 Kilometer. Auf diese Weise stellst du sicher, dass sich deine Muskeln, Sehnen und Bänder langsam an die höhere Intensität anpassen können.
Plane ausreichend Regeneration in dein Training ein
„Was ohne Ruhepausen geschieht ist nicht von Dauer“ schrieb Ovid, und das gilt auch für uns Läufer.
Plane in deinem Training regelmäßig Erholungswochen ein, in denen du weniger intensiv trainierst und weniger Kilometer läufst. Daniel und ich trainieren zum Beispiel nach dem 3:1-Modell: Über drei Wochen steigern wir langsam unser Training, und in Woche 4 fahren wir Intensität und Trainingskilometer deutlich zurück, um uns für den nächsten Trainingsblock zu erholen.
Das gilt nicht nur für die direkte Wettkampfvorbereitung, sondern für das gesamte Trainingsjahr. Plane nach einem wichtigen Wettkampf wie zum Beispiel einem (Halb-)Marathon im Herbst bewusst ein paar Wochen ein, in denen du gar nicht oder deutlich weniger läufst als das übrige Jahr.
In diesen Regenerationsphasen gibst du deinem Kopf und deinem Körper die Möglichkeit, sich wirklich zu erholen und neue Kraft zu tanken. Ein sinnvoll geplantes Training kann viele Laufverletzungen bereits im Keim ersticken.
Ergänze dein Training mit anderen Sportarten
Laufen ist eine gleichförmige und monotone Bewegung. Wenn du nur läufst wirst du immer die gleichen Muskeln, Sehnen und Bänder ansprechen und beanspruchen. Such dir deshalb mindestens eine Ausgleichssportart, die andere Muskelgruppen anspricht oder andere Fähigkeiten trainiert: Radfahren, Inline-Skaten, Klettern, Krafttraining, Yoga, Pilates, Schwimmen sind allesamt sehr gute Alternativen zum Laufen.
Mit deinem Ausgleichssport kannst du an lauffreien Tagen an deiner Kraft und Flexibilität arbeiten – und wenn dich eine Verletzung zu einer Laufpause zwingt kannst du möglicherweise einfach auf deinen „Zweitsport“ wechseln und deine Fitness erhalten.
Was hilft, wenn dich das Schienbeinkantensyndrom plagt?
Weiter oben habe ich bereits geschrieben, dass es beim Schienbeinkantensyndrom keine einzelne Maßnahme gibt, die immer hilft. Die richtige Maßnahme ist von der jeweiligen Ursache abhängig – und weil man die Ursache der Shin Splints meistens gar nicht so genau bestimmen kann, solltest du verschiedene Maßnahmen gleichzeitig ergreifen:
Laufpause
Wenn du unter einer akuten Knochenhautentzündung leidest, solltest du deine Laufschuhe für ein paar Tage oder auch länger in den Schrank stellen und eine Laufpause einlegen. Das ist wahrscheinlich die Antwort, die du nicht so gerne hören wolltest.
Aber wenn du jetzt mit Schmerzen weiter trainierst und versuchst, deinen Trainingsplan um jeden Preis einzuhalten, zögerst du die Heilung möglicherweise auf unbestimmte Zeit hinaus.
Starte erst wieder mit dem Lauftraining, wenn du komplett schmerzfrei bist. Ein zu früher Laufstart kann zu einer noch längeren Laufpause führen.
Die Entzündung lindern
Regelmäßiges Kühlen mit Eiswürfeln oder Kältepacks kann die Schmerzen lindern und die Entzündung schneller abklingen lassen.
Du kannst außerdem versuchen, den Entzündungsprozess mit entzündungshemmenden Lebensmitteln wie zum Beispiel Kurkuma zu unterstützen. Einen Überblick über solche Lebensmittel hat Daniel in diesem Beitrag zusammengestellt.
Zu entzündungshemmenden Medikamenten (Ibuprofen usw.) würde ich nur als allerletztes Mittel greifen, wenn die Schmerzen anders nicht auszuhalten sind – was aber beim Schienbeinkantensyndrom normalerweise nicht der Fall sein sollte. Wenn du nur mit Hilfe schmerzstillender Medikamente laufen kannst, dann ist das ein Zeichen, dass du es vielleicht besser lassen und deinem Körper Ruhe gönnen solltest.
Fersensitz
Sobald der Druckschmerz nachgelassen hat, kannst du damit beginnen, deine Faszien rund um den Musculus tibialis anterior zu „pflegen“.
Beim Fersensitz setzt du dich nach hinten auf deine Fersen. Die Füße sind im Fußgelenk gestreckt, so dass die Sohle nach oben zeigt. Halte diese Position für mindestens eine Minute, gerne auch länger. Wenn das gut klappt kannst du deinen Oberkörper noch ein Stückchen nach hinten lehnen, um die Dehnung zu verstärken.
Mach diese Übung am besten mehrmals täglich – auch wenn du aktuell nicht unter dem Schienbeinkantensyndrom leidest.
Massage mit der Faszienrolle
Die Muskulatur um das Schienbein herum mit der Faszienrolle zu massieren kann am Anfang sehr unangenehm sein. Doch wie die meisten Übungen mit der Faszienrolle (wir haben dieses Blackroll-Set*) lässt der Schmerz mit regelmäßigem Training nach.
Rolle abwechselnd mit dem Schienbein über die Faszienrolle, und zwar nicht direkt über den Knochen, sondern über den sogenannten vorderen Schienbeinmuskel, der an der Außenseite des Schienbeins beginnt – also beim rechten Unterschenkel rechts und beim linken Unterschenkel links des Schienbeins. Am besten funktioniert das mit einer kleinen Rolle.
Fußtraining
Unsere Füße fristen oft ein Schattendasein – und zwar nicht nur deshalb, weil wir sie so oft in Schuhe zwängen. Dabei beanspruchen wir sie als Läufer in besonderem Maß, denn bei jedem Trainingslauf müssen sie tausendfach den Aufprall auf den Boden abfangen.
In dein Trainingsprogramm gehört deshalb auch ein regelmäßiges, gezieltes Krafttraining für deine Füße, zum Beispiel mit diesen Übungen. Auch ein barfüßiger Spaziergang hat einen tollen Trainingseffekt, und dass du zu Hause so viel Zeit wie möglich barfuß verbringen solltest versteht sich von selbst.
Die Lauftechnik verbessern
Und schließlich kann auch ein nicht optimaler Laufstil zu einer Überlastung führen und das Schienbeinkantensyndrom hervorrufen. Ein Lauftechnik-Kurs oder eine Laufstil-Analyse kann deshalb eine lohnenswerte Investition sein.
Ich wünsche dir, dass du dein Schienbeinkantensyndrom ganz schnell wieder loswirst, diese Verletzung dauerhaft hinter dir lassen und bald wieder schmerzfrei laufen kannst!
Weiterführende Beiträge zu Laufverletzungen
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- Schmerzen in der Achillessehne: Woher sie kommen und wie du sie wieder loswirst
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Foto: lzf/shutterstock
Thor
Bei mir traten solche Schmerzen auf, als ich unerwartet in einen kalten Regenschauer gekommen bin, und noch eine Stunde nach Hause zu laufen hatte.. Danach musste ich ein paar Wochen / wenige Monate mit dem Laufen pausieren, und selbst beim vorsichtigen Wiedereinstieg hatte und habe ich bis heute das Gefühl, dass es empfindliche Punkte sind. Seitdem laufe ich bei Kälte (ggf. in Kombination mit Nässe und Wind) nur noch mit langer Laufhose oder hohen Laufsocken, um die Schienbeine warm zu halten, und das funktioniert gut. Zudem versuche ich beim Training, wie oben beschrieben, auch mal kurze und langsame Einheiten sowie anderen Sport einzuschieben.
Kathi
Vielen Dank für diesen Beitrag. Ich leide schon seit einiger Zeit an Shin Splint, nur wusste ich nie, wie das heißt, woher das kommt usw. Mir war nur klar, dass es sich um eine Entzündung handeln muss, weil es immer wieder aufgetreten ist bzw. auftritt und eine leichte Schwellung erkennbar ist. Niemand meiner Sportfreunde konnte mir sagen, was das ist. Nun hat das Ganze einen Namen und mit den Tipps werde ich ab jetzt versuchen, diese Entzündung zu minimieren.
Liebe Grüße,
Kathi
Katrin Schäfer
Hallo Kathi,
ich wünsche dir gute Besserung – dass du schnell wieder ins Laufen einsteigen kannst!
Viele Grüße
Katrin
Juoksija
Leider geht ihr hier nur auf den tibialis anterior ein. Häufig gehen die Schmerzen aber vom tibialis posterior aus (mediales Tibiakantensyndrom). Da hilft dann die Bearbeitung der vorderen Faszie und des tib. ant. nichts.
Und leider ist kühlen und die Einnahme von Entzündungshemmern auch eher kontraproduktiv, weil dadurch die Stadien, die eine Entzündung durchlaufen muss, um abzuheilen, unterbrochen werden und dadurch nicht ablaufen können. Moderates Kühlen (Kühlschranktemperatur und nicht Eiswürfel!) zur Schmerzlinderung, ja, mehr aber auch nicht.
Viel wichtiger ist da wirklich die Belastungspause und, zu erforschen, woher die Shin Splints kommen (zu schnelle Belastungssteigerung, Fehlbelastung, unpassende Schuhe?) und, wie man in Zukunft dagegen arbeiten kann.
Daniel Roth
Hallo Juoksija, vielen Dank für die Anmerkung zum tibialis posterior! Wir behalten das im Hinterkopf und werden das ggf. noch differenzieren, wenn wir den Artikel das nächste Mal überarbeiten. Es ändert sich dadurch aber nichts an der Empfehlung, vor allem nach der Ursache der Probleme zu suchen und diese abzustellen – das haben wir ja auch in den Vordergrund gestellt.
Zum Thema Entzündung: Grundsätzlich ist es richtig, dass Entzündungsprozesse einen „Sinn“ haben (darauf gehen wir auch im verlinkten Beitrag zu den entzündungshemmenden Lebensmitteln ein). Trotzdem kann Kühlung insbesondere in der akuten Phase für Linderung sorgen. Und bei lang anhaltenden Schmerzen, bei denen der Entzündungsprozess ja gerade nicht „normal“ zu verlaufen scheint, hat die Kühlung als eines von verschiedenen Mitteln unserer Meinung nach auf jeden Fall ihre Berechtigung.
Juoksija
Wollte auf keinen Fall euren Artikel schlecht machen! Ich finde eigentlich immer sehr gut, was ihr so schreibt. Und das mit dem Kühlen wird – wie das Dehnen – sowieso ein ewiges Diskussionsthema bleiben 😉
Viele Grüße
Marlene
Ich habe mich seit einem halben Jahr damit rumgeplagt, letztenendes haben mir längerfristig Krafttraining und Stabiübungen für Läufer geholfen, der Körper wird gestärkt und kann somit besser die Belastung abfangen. Ich versuche ein solches Zirkeltraining 2x die Woche einzubauen.
Katrin Schäfer
Hallo Marlene,
ich wünsche dir, dass du dank Krafttraining verletzungsfrei bleibst!
Viele Grüße
Katrin