Es gibt ja so ein paar Sportler-Promis, die man als veganer Läufer gerne mal treffen würde. Spontan fallen uns da Namen wie Matt Frazier, Scott Jurek, Brendan Brazier und Rich Roll ein.
Gleich zwei von ihnen durften wir in den letzten Tagen persönlich kennen lernen. Scott Jurek besuchte Ende September den wöchentlichen offenen Lauftreff des Frankfurter Laufshops, und Brendan Brazier war wenige Tage später auf der Frankfurter Buchmesse zu Gast.
Wir hatten die Gelegenheit, mit Brendan zu sprechen und haben ihn als klugen und weitsichtigen Pionier der „veganen Bewegung“ kennen gelernt. Im Interview erfährst du, welche Idee hinter seiner Thrive Diät* steckt, ob du teure Superfoods für eine gesunde Ernährung brauchst und ob Brendan „vegan“ für mehr hält als nur einen vorübergehenden Trend.
„Ich wollte die beste Ernährung für mich finden“
beVegt: Brendan, als du deine Ernährung auf die vegane Ernährungsweise umgestellt hast, ging es dir erstmal vor allem darum, deine sportliche Leistung zu verbessern und deine Regenerationszeit zu verkürzen. Mittlerweile ist dir der Nachhaltigkeitsaspekt enorm wichtig geworden. Über die ökologischen Aspekte einer veganen Ernährungsweise schreibst du in deinem Buch “Thrive Foods” und hast darüber sogar zwei Mal vor dem amerikanischen Kongress gesprochen. Kannst du uns ein bisschen über diese Entwicklung erzählen?
Brendan Brazier: Ich wollte der beste Sportler sein, und habe mir früher keine großen Gedanken gemacht, was bei mir auf dem Teller landete. Am Anfang war es gar nicht mein Ziel, mich vegan zu ernähren, sondern meine Lebensmittelauswahl war egoistisch getrieben – ich wollte einfach die beste Ernährung für mich finden. Nachdem ich mit meiner Ernährungsweise sehr erfolgreich war wurde ich zu verschiedenen Kongressen eingeladen, um dort über meine Ernährung zu sprechen. Erst auf diesen Veranstaltungen habe ich die ökologischen Aspekte einer pflanzlichen Ernährung kennengelernt.
Das Thema Effizienz hat mich schon immer sehr interessiert. Ich will mehr Nährstoffe – Vitamine, Mineralstoffe, Antixodantien und Proteine – zu mir nehmen und dabei möglichst wenig natürliche Ressourcen verbrauchen, also zum Beispiel Land, Wasser oder fossile Brennstoffe, und einen möglichst kleinen ökologischen Fußabdruck hinterlassen. Aktuell leben über 7 Milliarden Menschen auf der Erde und die landwirtschaftliche Nutzfläche ist begrenzt. Unsere Entscheidung, was wir essen, muss sozialverträglich sein.
Es gibt eine Menge verschiedener Ernährungsweisen, die für uns als Individuen funktionieren, aber sie müssen auch für uns als großes Ganzes, als Gesellschaft funktionieren. Gerade in Nordamerika und Europa haben wir im Umgang mit Ressourcen eine Wahl – das ist nicht überall so. Und damit haben wir auch eine gewisse Verantwortung.
beVegt: Kannst du einmal in möglichst wenigen Worten die zentrale Idee deiner Thrive Diet beschreiben?
Brendan Brazier: Bei der Thrive Diet geht es um eine hohe Effizienz. Es werden Lebensmittel ausgewählt, die wenig Energie bei der Verstoffwechselung im Körper benötigen und gleichzeitig dem Körper möglichst viel Energie und Nährstoffe zurückgeben. Stimulanzien wie Zucker und Koffein fehlen in der Thrive Diet. Diese pushen zwar kurzfristig, aber der Körper muss später dafür zahlen, weil er dann in ein Loch fällt. Stattdessen setze ich auf Lebensmittel, die den Kortisolspiegel reduzieren, so dass man besser und tiefer schlafen kann, weniger müde ist und dann eben nicht zu solchen Stimulanzien greifen muss.
Außerdem geht es darum, die häufigsten bekannten Allergene zu vermeiden oder zu reduzieren, die zu Entzündungen, Ausschlägen oder Verdauungsproblemen führen können. Also zum Beispiel Weizen, Gluten, Mais, Soja oder Milchprodukte.
beVegt: In deinen Büchern sprichst du viel über basische und saure Lebensmittel. Auch in Deutschland gibt es Diskussionen über den Einfluss von basischen und sauren Lebensmitteln auf die Gesundheit. Das körpereigene Puffersystem hält den pH-Wert im Blut neutral, egal was wir essen, so dass der Körper bis auf sehr seltene Ausnahmen nicht übersäuern kann. Für diese Regulierung zieht der Körper Mineralstoffe aus den Knochen, was natürlich bei einer sehr sauren Lebensmittelauswahl zum Problem werden kann. Aber von einer „Übersäuerung“ des Körpers durch unsere Ernährung zu sprechen ist vor diesem Hintergrund doch falsch, oder?
Brendan Brazier: Genau, das stimmt, der Körper kann nicht wirklich sauer bleiben. Durch einen hohen Anteil an sauren Lebensmitteln werden Calcium und andere Mineralstoffe aus den Knochen herausgeschwemmt. Auf Dauer werden die Knochen dadurch geschwächt, was zu Osteoporose und Knochenbrüchen führen kann.
Insgesamt hat der Körper genügend Puffer und kann die Säure neutralisieren – das ist auch der aktuelle Stand der Wissenschaft. Man kann nicht übersäuern, aber eine saure Ernährung hat trotzdem ihren Preis: Es kommt zu Entzündungen im Körper, das Immunsystem wird geschwächt und man zahlt eben durch einen stärkeren Verlust von Knochenmasse.
„Die Thrive Diet ist für jeden geeignet“
beVegt: Die Thrive Diet ist besonders unter Läufern und Triathleten sehr beliebt. Ist die Thrive Diet auch für Leute mit einem eher inaktiven Lebensstil geeignet?
Brendan Brazier: Die Thrive Diet ist für jeden geeignet, denn sie basiert auf dem Konzept “Gesundheit” – und das geht jeden etwas an, egal ob Sportler oder Nicht-Sportler. Die Vorteile liegen auf der Hand: weniger Entzündungen im Körper, ein besserer Schlaf, weniger Heißhunger auf zucker- und stärkehaltige Lebensmittel, weniger Probleme mit Übergewicht, ein stabilerer Hormonspiegel – das tut jedem gut.
Gerade Athleten geht es oft nicht um ihre Gesundheit, sondern ausschließlich um Leistung. Für eine gewisse Zeit geht das gut, doch irgendwann kommen Verletzungen und sie müssen vielleicht sogar ihre Karriere beenden. Ich halte es für sinnvoll, langfristig zu denken.
Wer keinen oder nur wenig Sport macht kann natürlich die Rezepte der Thrive Diet verwenden, nur sollte er insgesamt weniger essen. Ich empfehle immer langsam anzufangen, vielleicht erst einmal 1-2 Gerichte pro Tag zu tauschen, nicht zu viel auf einmal. Und man sollte sich auf das „Hinzufügen“ guter Lebensmittel konzentrieren, statt immer nur darauf zu schauen, was man alles „wegnimmt“ aus seiner Ernährung. Das funktioniert viel besser!
beVegt: Was rätst du Leuten, die mit der veganen Ernährung starten wollen? Gerade am Anfang will man keinen Fehler machen!
Brendan Brazier: Ich empfehle, viele Smoothies zu trinken. Die sind energie- und proteinreich und haben viele wichtige Inhaltsstoffe wie Eisen, Calcium, Vitamin B12, Omega-3-Fettsäuren – je nachdem, was man in den Smoothie reinpackt. Wer mag kann Smoothies prima mit Nahrungsergänzungsmitteln aufwerten, wie ich sie z.B. für VEGA entwickelt habe. Oder man verwendet die Smoothie-Rezepte aus meinem Buch – Smoothies sind immer gut für den Start!
beVegt: Superfoods wie Chiasamen, Maca und Chlorella sind ein wichtiger Bestandteil der “Thrive Diet”. Sind Superfoods wirklich wichtig, oder können wir diese doch relativ teuren Lebensmittel weglassen?
Brendan Brazier: Viele “normale” Lebensmittel sind ebenfalls reich an wichtigen Inhaltsstoffen, zum Beispiel Spinat oder Grünkohl. Anstelle von Goji-Beeren kann man auch Blaubeeren verwenden – die tun es auch! Man muss keine teuren importierten Superfoods kaufen, sondern kann das nehmen, was gerade Saison hat. Es gibt nur ein paar Superfoods, bei denen es auf die Herkunft ankommt. Maca-Pulver zum Beispiel bezieht seine vielen Mineralien aus dem besonderen Boden in Peru. Aber ansonsten kann man die regionalen Lebensmittel im ganz normalen Supermarkt einkaufen – keep it simple!
„Niemand braucht Rezepte!“
beVegt: Einige unserer Leser kritisieren, dass deine Rezepte teilweise sehr zeitaufwändig sind. Was kannst du empfehlen, um den Zeitaufwand für die Rezeptzubereitung möglichst gering zu halten? Es ist oft eine Herausforderung, Arbeit, Training, Familie, Freunde und die Ernährung unter einen Hut zu bringen …
Brendan Brazier: Gar kein Problem, die Ernährung nach der Thrive Diet kann auch sehr simpel gestaltet werden. Ich halte mich schon lange nicht mehr an Rezepte. Niemand braucht Rezepte, wirklich!
Ich reise sehr viel und mache es so, dass ich mich an den Grundprinzipien der Thrive-Diet orientiere und danach meine Mahlzeiten zusammenstelle. Ein Gericht kann auch nur aus Quinoa, Avocado und einer Prise Meersalz bestehen. Ich „grase“ mich oft durch den Tag und esse hier und da immer mal kleine Snacks wie Früchte, rohes Gemüse oder Nüsse. Die Leute haben wirklich verlernt, einfach mal eine rohe Karotte oder Gurke zu essen!
beVegt: Du bist schon lange im “Geschäft” der veganen Ernährung unterwegs und auf dem Gebiet ein ausgesprochener Pionier. Denkst du, es gibt wirklich einen Trend in Richtung einer pflanzlichen Ernährungsweise? Oder sehen wir Veganer nur das, was wir sehen wollen? Und wenn ja, was ist der Grund, dass immer mehr Leute offen gegenüber einer pflanzlichen Ernährungsweise sind und sie ausprobieren wollen?
Brendan Brazier: Ja, den Trend gibt es wirklich. Die Gründe dafür sind ganz unterschiedlich. Es gibt einerseits die Leute, die ganz explizit die vegane Ernährung ausprobieren wollen, weil sie gehört haben, dass eine vegane Ernährung gesund sei oder sie wollen es aus ethischen und ökologischen Gründen machen.
Anderen geht es vor allem darum, sich besser zu fühlen und leistungsfähiger zu sein – egal mit welcher Ernährung, und sie entdecken dann, dass ihnen die pflanzliche Ernährung genau das gibt. Wieder andere wollen nicht komplett vegan leben, aber ihren Fleischkonsum reduzieren. Und auch das ist schon mal ein guter Start!
beVegt: Und denkst du, dass es so weitergehen wird?
Brendan Brazier: Ja, auf jeden Fall denke ich das. Die vegane Bewegung ist wirklich groß, und viele Leute wollen mehr vollwertige Lebensmittel essen. Auch bei der im Moment sehr beliebten Paleo-Diät geht es ja darum, wieder mehr vollwertige, unverarbeitete Lebensmittel zu essen. Aber die Paleo-Diät ist eine sehr privilegierte Ernährungsweise, denn man benötigt dafür viel Land für die Tiere. Ich persönlich suche Lösungen für alle Menschen auf der Welt, nicht nur für mich als Einzelnen – und das bietet die vegane Ernährung.
Es gibt immer mehr Leute im Technologie-Bereich, die sich dem Thema widmen, zum Beispiel der Twitter-Gründer Biz Stone, die Firma Beyond Meat oder auch Bill Gates. Diese Leute schauen nicht so sehr auf den Gesundheitsaspekt, sondern sie sehen das große globale Problem, dass es nicht genügend Anbauflächen gibt um die immer größer werdende Weltbevölkerung zu ernähren. In Nordamerika werden 70% der Lebensmittel nicht für Menschen angebaut, sondern für Tiere. Das ist unglaublich ineffizient. Die Zukunft muss einfach vegan sein.
beVegt: Vielen Dank für das spannende Gespräch, Brendan!
Sylvia
Hallo,
ein neuer Eintrag von Euch, wie schön! Aber eine ‚Thrive Diet‘ findet durch mich keinen neuen Anhänger. Ich möchte nicht auf Zucker und Koffein verzichten und auch sonst lieber auf mein ‚Bauchgefühl‘ in meiner veganen Ernährung hören; aber ich bin ja auch Freizeit- und kein Leistungssportler.
Gruß
Sylvia
Daniel Roth
Hi Sylvia, das ist absolut ok – wir machen das genauso 🙂 Und auch Brendan sieht das nicht so streng, wie es manchmal rüberkommt. Er hat sich schon bei mehreren Gelegenheiten so geäußert, dass er Kaffee, Zucker und andere „Stimulanzien“ nicht verteufelt und das auch niemandem verbieten will. Er weist eben nur darauf hin, dass der Energiekick, den sie bringen, kurzfristiger Natur ist und zwangsläufig dazu führt, dass man in ein Energietief gerät, sobald er nachlässt. Ich denke, dass er damit Recht hat. Das bedeutet aber nicht, dass man solche Dinge unbedingt meiden sollte. Ich habe z.B. grade mit Katrin zusammen einen schönen Kaffee zum Frühstück getrunken und mich einfach herrlich dabei gefühlt – der Geschmack, das Entspannungsgefühl … das ist es mir unbedingt wert 🙂
Generell stehen wir Brendans Thesen zwiegespalten gegenüber: Seine Ideen bezügl. Nachhaltigkeit gefallen uns sehr gut. Er macht ein paar sehr anschauliche Rechnungen auf, bei denen er den Ressourcenverbrauch eines Lebensmittels mit seinem Nährstoffgehalt ins Verhältnis setzt. Dabei zeigt sich, dass die nährstoffreichsten Lebensmittel oft gleichzeitig die umweltfreundlichsten sind. Eine tolle Erweiterung der klassischen „was bringt es MIR“-Denkweise auf ein „Was bringt es MIR und UNS ALLEN“. Top!
Den gesundheitlichen Behauptungen zu seiner Thrive Diet stehen wir eher skeptisch gegenüber. Da fehlt uns einfach die wissenschaftliche Fundierung. Aber das ist ja ein Interview, und es geht hier nicht um unsere Meinung, sondern wir wollten ihn eben ganz offen zu Wort kommen lassen. Unsere Kritikpunkte zur Thrive Diet hat Katrin in unserer Rezension zu „Vegan in Topform“ zusammengefasst: https://www.bevegt.de/review-vegan-in-topform/
LG, Daniel
Heiko Barth
Hallo ihr beiden Lieben,
beschäftigt euch bitte mal ernsthaft mit dem Thema: gesundes sauberes, informiertes und energetisiertes Wasser ( ca. 70% des Körpers und 90% des Gehirns bestehen aus Wasser).
Heute sind Dinge im Leitungswasser, die gar nicht kontrolliert werden, da sie vor einigen Jahren so gut wie keine Rolle gespielt haben. Außerdem entspricht das kontrollierte Wasser ab Wasserwerk nicht der Qualität, die nach wer weiß viel Kilometern Leitung bei euch ankommt. Ich möchte euch weder einen Filter noch sonst etwas verkaufen, sondern euch bitten, dem Thema Wasser des Lebens genau so viel Aufmerksamkeit zu schenken, wie „euren“ Themen: vegane Kost und Laufen, damit ihr noch mehr Ganzheitlichkeit erfahrt!
Es grüßt euch herzlichst ein begeisterter und achtsamer Leser
Heiko Barth
Sylvia
Berichte über Medikamentenreste im Wasser verderben mir die Lust darauf, Leitungswasser anstatt Mineralwasser in Flaschen zu trinken. Ein heikles Thema, über das ich (vielleicht besser so…) nicht viel weiß. Und im Zusammenhang mit veganer Enährung bevorzuge ich Mineralwasser als zusätzliche Mg- und Ca-Lieferanten.
Daniel Roth
Hallo Heiko, danke für die Anregung, aber wie kommst du denn bitte von Brendan Brazier auf Leitungswasser? Das war in dem Interview doch gar nicht thematisiert 🙂 Das Thema Wasser beschäftigt uns natürlich sehr, denn wir trinken fast ausschließlich Leitungswasser (vor allem in Form von Tee). Und ich bin inzwischen auch skeptisch, was die Qualität des Leitungswassers betrifft. Auch hinter den Aussagen pro Leitungswasser stehen ja wirtschaftliche Interessen.
Ob man sich „ernsthaft“ mit dem Thema „informiertes und energetisiertes Wasser“ auseinandersetzen kann wage ich aber zu bezweifeln. Ich halte das ehrlich gesagt für Humbug (und bin mit dieser Meinung ja offensichtlich nicht alleine).
Homeveganer
Ein schönes Interview von euch, bei dem aber eine Frage gefehlt gefehlt hat 😉 Aber kein Problem, letztendlich hat er es ja indirekt beantwortet. Man muss sich nicht so stur an die Rezepte halten. Ich finde sein Konzept und die Thrive Diät jedenfalls sehr interessant und werde nochmal einen zweiten Versuch wagen. Beim ersten mal hat meine kleine Küchenmaschine versagt und ich hatte ein Beschaffungsproblem bei manchen Zutaten 🙂
Katrin Schäfer
Ja, das Beschaffungsproblem. Zudem sind mir einige Zutaten einfach zu teuer, das sehe ich nicht ein. Wir bauen ab und zu mal gerne ein Rezept ein. Da fällt mir ein: ich sollte die Linsencracker mal wieder machen 😉