Als ich um die Jahrtausendwende mit dem Laufen angefangen habe, gab es fast kein Laufbuch, in dem nicht vom Runner’s High die Rede war.
Das Runner’s High war angeblich ein Zustand, in dem man wie im Rausch laufen und sich das Laufen schwerelos und leicht anfühlen würde. Dabei sollten jede Menge Endorphine ins Gehirn strömen, so dass man gar nicht merkt, wie die Kilometer an einem vorbeifliegen.
Keine Frage: Das wollte ich auch erleben!
Der Gedanke an dieses Runner’s High hat mich in den ersten zwei oder drei Jahren als Läufer nicht losgelassen. Ich habe darauf gewartet, dass es sich endlich zeigen und mich aus den Socken hauen würde.
Und was soll ich sagen: Es ist einfach nicht passiert.
Klar hatte ich tolle Läufe. Ich hatte sogar richtig tolle Läufe, bei denen ich mich leicht und gut gefühlt habe. Aber high? Darunter hatte ich mir irgendwie etwas anderes vorgestellt.
Flow statt Runner’s High
Irgendwann bin ich dann zu dem Schluss gekommen, dass mich das Laufen auch ohne dieses mysteriöse Runner’s High befriedigt. Also bin ich beim Laufen geblieben. Und mit der Zeit habe ich eine Alternative zum Runner’s High für mich entdeckt: Den Flow.
Der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi hat den Begriff „Flow“ in den 1970er-Jahren geprägt. Er beschreibt damit einen Zustand völliger Vertiefung in eine Tätigkeit, ein Gefühl von völliger Präsenz, Leichtigkeit und gleichzeitig fokussierter Anstrengung. Man ist ganz im Moment, verliert das Zeitgefühl, denkt nicht darüber nach, was man tut – man ist einfach im Tun, und das Erleben selbst wird zur Belohnung.
Normalerweise lasse ich beim Laufen meine Gedanken fließen. Ich denke über beVegt nach, spiele mit Ideen, freue mich auf eine geplante Reise (oder einfach nur auf ein leckeres Abendessen) oder schwelge in Erinnerungen an vergangene Momente und Erlebnisse.
An diesen Tagen laufe ich zwar, aber ich bin mit den Gedanken nicht beim Laufen.
Und dann gibt es diese Läufe, bei denen ich meine Gedanken nicht schweifen lasse, sondern voll und ganz bei der Sache bin.
Wenn du mich nach diesen Läufen fragen würdest, worüber ich so alles nachgedacht habe, dann könnte ich es dir nicht sagen. An diesen Tagen bin ich zu 100 Prozent beim Laufen. Ich spüre den Wind in meinem Gesicht, den Schweiß auf meiner Haut, die tiefe Atmung, die Monotonie der Bewegung und nehme einfach die Eindrücke auf, die mir unterwegs begegnen.
Ich bin im Flow.
Wie kommt man beim Laufen in den Flow?
Csikszentmihalyi hat in seiner Forschung herausgefunden, dass verschiedene Bedingungen vorliegen müssen, damit sich ein Flow-Zustand einstellen kann.
Die wichtigste Voraussetzung ist eine optimal dosierte Herausforderung: Flow entsteht oft, wenn die Aufgabe anspruchsvoll, aber machbar ist – also dich weder langweilt noch überfordert. Ein lockerer Dauerlauf, bei dem du dich gut fühlst, kann Flow erzeugen, aber auch ein anstrengendes Tempotraining, bei dem du spürst, dass du dich nah an deiner persönlichen Grenze bewegst.
Der Flow ist außerdem durch eine völlige Konzentration auf das Hier und Jetzt gekennzeichnet. Das heißt, dass du alles ausblenden willst, was dich vom Laufen ablenken und aus dem Moment herausreißen könnte. Gleichzeitig willst du deinen Lauf so gestalten, dass er dir deine ganze Aufmerksamkeit und Konzentration abverlangt.
Aus diesen Überlegungen (und meiner eigenen Erfahrung) habe ich insgesamt sieben Tipps und Methoden abgeleitet, mit denen du deine Chancen auf ein Flow-Erlebnis beim Laufen steigern kannst.
Schauen wir sie uns der Reihe nach an.
7 Methoden, mit denen du in den „Flow“ kommen kannst
#1 Starte bewusst in deinen Lauf
Mit welcher Einstellung du in deinen Lauf startest, kann beeinflussen, wie er sich entwickelt und wie du ihn erlebst. Wenn du nach Feierabend gehetzt in die Laufschuhe stolperst, um vor dem Fernsehabend noch schnell ein paar Kilometer abzureißen, wird sich wohl eher kein Flow einstellen.
Nimm dir deshalb vor dem Loslaufen ein paar Sekunden Zeit für dich. Atme tief durch, streck dich kurz oder schließe für einen Moment die Augen. Eine kleine Einstimmung kann helfen, den Alltag hinter dir zu lassen und mit mehr Präsenz loszulaufen.
#2 Laufe ohne Ablenkung – oder wähle Musik, die den Flow unterstützt
Auch wenn Musik oder Podcasts beim Laufen motivieren können, sind sie nicht unbedingt förderlich für den Flow. Das gilt insbesondere für gesprochene Inhalte, die deine Konzentration beanspruchen, oder für Musik, mit der du vielleicht bestimmte Erinnerungen verbindest.
Um in den Flow zu kommen solltest du deshalb die Kopfhörer zu Hause lassen, oder du wählst eine eher neutrale Musik aus, z. B. instrumentale oder ruhige elektronische Tracks.
#3 Nutze ein persönliches Lauf-Mantra
Ein kurzes Mantra kann helfen, die Gedanken zu fokussieren und die Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was du gerade tust. Du kannst es leise aufsagen, oder – noch besser – innerlich im Rhythmus deines Atems wiederholen. Hier sind ein paar Beispiele, die gut funktionieren können:
- „Schritt für Schritt“
- „Ich laufe leicht und locker“
- „Einatmen, Ausatmen“
Der repetitive Charakter des Mantras kann dich in einen meditativen Zustand bringen, der ideal für den Übergang in einen Flow ist. Ich empfehle dir aber, das Mantra eher zu Beginn deines Laufs und auch nur für ein paar Minuten zu wiederholen, weil es ansonsten selbst zur Ablenkung werden kann.
#4 Spiele mit dem Tempo
Ein Flow kann sich definitiv auch bei lockeren Dauerläufen in einem gleichbleibenden Tempo einstellen. Manchmal hilft es aber, wenn du deinem Körper (und Kopf) etwas Abwechslung bietest, um dich immer wieder ins Hier und Jetzt zu bringen.
Du musst es dabei nicht übertreiben: Spiele ganz intuitiv mit leichten Tempowechseln – zum Beispiel, indem du zwischendurch für ein paar Minuten etwas beschleunigst und dann wieder locker machst. Wenn du dabei ein Tempo „entdeckst“, bei dem sich alles rund und kontrolliert anfühlt, dann kannst du es auch beibehalten und schauen, ob es dich in den Flow-Zustand führt.
#5 Laufe auf schwierigem Untergrund
Wenn du dich bei jedem Schritt darauf konzentrieren musst, dass du nicht über eine Wurzel stolperst, dann hast du gar keine Chance, deine Gedanken vom Laufen abschweifen zu lassen – deine ganze Aufmerksamkeit gilt dem Trail und dem nächsten Schritt. Ich glaube, dass Trailrunning auch aus diesem Grund immer beliebter wird: Es ist wie eine Meditation, weil es dich dazu „zwingt“ im Augenblick zu sein, statt in die Vergangenheit oder Zukunft abzuschweifen.
#6 Laufe auf unbekannten Strecken
Die meisten Läufer:innen haben eine Handvoll Strecken, die sie immer und immer wieder laufen. Irgendwann kennt man sozusagen jeden Grashalm auf diesen Strecken, und das führt dazu, dass man sie immer weiter ausblendet. Die Gedanken wandern vom Laufen weg und hin zum Job, zu den Alltagssorgen und so weiter.
Dagegen ist auch gar nichts einzuwenden, aber wenn du nach einem Flow-Erlebnis suchst, dann solltest du aus dieser Routine ausbrechen und mal eine ganz neue Strecke ausprobieren! Eine neue Strecke bietet dir unbekannte Reize, die deine Aufmerksamkeit auf die Gegenwart richten. Außerdem musst du dich konzentrieren, um den richtigen Weg zu finden – auch das führt dazu, dass deine Gedanken nicht abschweifen und du stattdessen den Lauf und deine Umgebung wahrnimmst.
#7 Lass „es“ laufen!
An manchen Tagen fühlen wir uns einfach fit und leicht beim Laufen – und diese Tage sind perfekt, um in einen „Flow“ zu kommen. Wenn du bei einem Lauf das Gefühl hast, dass du ohne Probleme auch schneller laufen könntest, dann nimm den Fuß einfach mal von der Bremse und zieh dein Tempo an. Lauf nicht so schnell, dass du aus der Puste kommst … nur ein bisschen schneller als sonst, so dass du dich wirklich schnell und gut fühlst.
Ich glaube, dass der Flow bei diesen Läufen daher kommt, dass man dieses perfekte Laufgefühl einfach so richtig genießt: Du bist zu schnell unterwegs, um über andere Dinge nachzudenken, aber nicht so schnell, dass es dich wirklich anstrengt.
Es ist ein idealer Lauf, und du kostest das Gefühl in diesem Moment voll und ganz aus. Der perfekte Flow!
In der Tat, ich habe noch eine Idee, wie man dem „Flow“ näher kommen kann. Der Tipp ist ganz einfach: Rupft die heute scheinbar unerlässlichen Ohrstöpsel raus! Man kann wirklich ohne laufen, auch wenn’s viele nicht glauben mögen, und es ist toll, was man dann so wahrnimmt.
Das könnte man tatsächlich mal versuchen Bernd 🙂 Ich selbst bin auch noch nie mit Musik im Ohr gelaufen und kann mir das auch gar nicht vorstellen – ich glaube das würde mich total aus dem Takt bringen 😉 Aber es ist sicher auch eine Typsache.
Bei mir ist es genau umgekehrt. Ich habe eine Lieblings-Lauf-Musik und wenn ich die mal woanders höre, habe ich das dringende Bedürfnis los zu laufen…. Diese Musik ist bei mir dem Laufen verankert.
Damit schaffe ich auch noch kurz vor Schluss einen Sprint. 🙂
Sag ich ja – das ist eben eine Typsache 🙂 Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich von Anfang an ohne Musik gelaufen bin und mich einfach daran gewöhnt habe – ich kann es mir anders gar nicht mehr vorstellen. Wobei ich die Musik bei Marathons usw. natürlich gerne mitnehme 🙂
Ich habe schonmal ein Seminar zu diesem Thema besucht und dort wurde gesagt, dass jegliche Veränderung dazu beiträgt, öfter in diesen Flow-Zustand zu kommen. Zum Beispiel mit links Zähne putzen, rückwärts die Treppe runtergehen usw. Es muss gar nicht direkt mit dem Laufen zu tun haben, aber alles bei dem neue Verknüpfungen im Gehirn gebildet werden hilft.
Beim Laufen selber hilft es mir aber am meisten, wenn ich einfach lächle. Man wird zwar öfter mal komisch angeguckt („Warum lächelt die so blöd?“) aber man fühlt sich direkt viel besser und ich werde ganz automatisch schneller.
Danke für die Tipps Charlotte! Das macht Sinn, denke ich – wenn man etwas anders macht, dann „stört“ man die Gewohnheit und Routine, und die sind ja grade dafür verantwortlich, dass wir Dinge ganz automatisch machen und gar nicht mehr mitbekommen, was wir grade tun. Also vielleicht einfach mal die nächste Laufrunde rückwärts laufen? 😉
Viele Grüße
Daniel
bis vor kurzem bin ich häufiger mit Stöpsel in den Ohren gelaufen, habe aber festgestellt, dass mein Anspruch mal wieder mehr Französisch zu hören (Edith Piaf) nicht mit dem Laufen kompatibel ist – ich versuchte ständig, meine fehlenden Vokabelkenntnisse irgendwie aus den Tiefen zu holen. Element of Crime konnte ich nach diversen Läufen auch nicht mehr hören und inzwischen laufe ich (zumindest auf den Ohren :-))lautlos. Das mit dem Flow kann ich nur bestätigen – ich genieße bei einigen Läufen wirklich ganz bewusst meine Umgebung und das fällt mir auf neuen Strecken viel leichter. Aber zur Zeit geht leider gar nichts – ich habe eine fiese schmerzhafte Schleimbeutelentzündung in der Schulter und die muss erst abheilen. Aber dann!!!!
Ich bin meine Strecke mal andersrum gelaufen. Kam in den Flow und wachte daraus plötzlich auf, weil ich nicht mehr wusste wo ich im Wald bin. Erst nach längerem überlegen kam ich wieder auf meine Strecke.
Im Flow konnte ich schon einige problematische Herausforderungen mit guten Ideen lösen.
Haha, das kenne ich. Gewohnte Runden andersrum laufen verschafft komplett neue Einsichten in bekannte Gegenden.