Schrittfrequenz, Kniehub, Körperschwerpunkt, Fußaufsatz, Hüftstreckung … die Beschäftigung mit dem Laufstil kann ganz schön kompliziert werden. Und um die Verwirrung komplett zu machen, werfe ich jetzt mal eine kontroverse These in den Raum: Den einen, optimalen Laufstil gibt es gar nicht.
Natürlich könnte man auf die Idee kommen, dass wir beim Laufen im Idealfall alle so aussehen sollten wie die kenianisch-äthiopische Spitzengruppe beim Berlin Marathon. Wenn wir bloß genauso leichtfüßig über den Asphalt schweben würden wie Kipchoge und Co., dann sollte sich das doch zwangsläufig in einer höheren Pace und einem geringeren Verletzungsrisiko niederschlagen, oder?
Aber ganz so einfach ist es nicht, denn unser Laufstil wird maßgeblich von unseren körperlichen Voraussetzungen beeinflusst. Du kannst zwar mit gezieltem Kraft- und Beweglichkeitstraining durchaus Veränderungen erreichen, aber du wirst dich dabei immer in bestimmten Grenzen bewegen.
Ein Laufstil, der zu DEINEM Körper passt
Es ist also für die meisten Menschen schlicht unmöglich, so zu laufen wie Kipchoge – egal welchen Aufwand sie dafür betreiben.
Aber zum Glück ist das auch gar nicht nötig, und wäre wahrscheinlich nicht einmal sinnvoll. Wenn du dem Laufstil der Kenianer:innen nacheiferst, dann würdest du dich damit über die Bedürfnisse deines eigenen Körpers hinwegsetzen. Kipchoges Laufstil passt zu Kipchoges Körper. Du willst einen Laufstil, der zu DEINEM passt.
In diesem Beitrag soll es aber gar nicht um die größeren Aspekte des Laufstils gehen, die ich eingangs erwähnt habe. Stattdessen will ich dir fünf kleine Veränderungen vorschlagen, die sich sofort positiv auf deinen Laufstil auswirken, und die wirklich ganz einfach umzusetzen sind.
#1 Lockere Schultern
Unser Ziel beim Laufen ist eine entspannte, unverkrampfte Körperhaltung – und das gilt besonders für den Oberkörper. Oft ziehen wir unbewusst die Schultern hoch, ballen unsere Hände zu Fäusten oder spannen unsere Nackenmuskulatur an. Beobachte in nächster Zeit mal die Läufer:innen, die dir tagsüber begegnen, dann wird dir das sicher bei einigen von ihnen auffallen.
Mein erster Tipp ist deshalb, dass du zu Beginn deines Laufs und immer mal wieder währenddessen deine Schultern hochziehst und dann ganz bewusst nach unten fallen lässt. Auf diese Weise sorgst du dafür, dass dein Schultergürtel entspannt bleibt und deine Arme frei neben dem Körper schwingen können.
#2 Daumen locker auf den Zeigefinger legen
Auch die Hände dürfen beim Laufen entspannt bleiben, denn wenn du sie zu Fäusten ballst sendest du damit ein weiteres „Anspannungssignal“ an deinen Körper. Um das zu vermeiden kannst du deine Daumen locker auf deinen Zeigefingern ablegen und die Hand ohne jede Muskelspannung leicht geöffnet lassen. Die Handposition sieht dann so aus, als würdest du ein Blatt Papier zwischen Daumen und Zeigefinger halten, von dem du etwas ablesen möchtest.
#3 Lockere Gesichtszüge
In seinem (sehr empfehlenswerten) Buch Endure* berichtet Alex Hutchinson von verschiedenen Studien, die den Einfluss des Gesichtsausdrucks beim Sport untersucht haben. Das erstaunliche Ergebnis: Wenn wir unsere Gesichtszüge verkrampfen und im wahrsten Sinne des Wortes „auf die Zähne beißen“ ist die gefühlte Anstrengung größer als wenn wir ein entspanntes Lächeln auf den Lippen haben.
Du darfst beim Laufen also nicht nur auf lockere Schultern und Hände achten, sondern auch auf einen entspannten Gesichtsausdruck.
#4 Das Läuferdreieck aufbauen
Nein, hier geht es nicht um eine geometrische Form aus dem Matheunterricht, an die du dich schon lange nicht mehr erinnern kannst – sondern um eine Eselsbrücke für die optimale Armhaltung beim Laufen: Wenn dein Arm nach hinten schwingt, sollten dein Oberarm, dein Unterarm und dein Rücken ein geschlossenes Dreieck bilden … das sogenannte Läuferdreieck.
Ist das Dreieck geöffnet (deine Hand ist nicht neben, sondern hinter deinem Oberkörper), dann ist der Winkel im Ellbogengelenk zu groß. Deine Arme werden dann zu langen Pendeln und bremsen dich aus, weil sie deine Schrittfrequenz verlangsamen.
Ist das Dreieck hingegen sehr klein und spitz, dann ziehst du die Unterarme zu stark nach oben in Richtung deiner Schultern, was zu einer verkrampften Oberkörperhaltung führen kann (siehe Tipp Nr. 1). Wie du deine Armhaltung verbessern und das Läuferdreieck erreichen kannst, erfährst du in diesem ausführlichen Beitrag zur richtigen Armhaltung beim Laufen.
#5 Die Schrittfrequenz erhöhen
Um die optimale Schrittfrequenz beim Laufen werden hitzige Debatten geführt. Eine Zahl, die man dabei häufiger hört, sind 180 Schritte pro Minute, weil sich die Schrittfrequenz von Eliteläufer:innen oft in diesem Bereich bewegt. Da die Schrittfrequenz von vielen Faktoren wie der Körpergröße, der Beinlänge und der Laufgeschwindigkeit beeinflusst wird, darfst du solche pauschalen Empfehlungen aber mit einer gewissen Skepsis zur Kenntnis nehmen.
Trotzdem kann die Schrittfrequenz eine effektive Stellschraube sein, wenn du deinen Laufstil verbessern möchtest. Allgemein lautet der Zusammenhang: Je höher die Schrittfrequenz (bei gleichem Tempo), desto kürzer werden deine Schritte, und desto näher rückt der Fußaufsatz unter den Körperschwerpunkt, was als wünschenswert gilt.
Statt dich auf eine bestimmte Zahl wie „180 Schritte pro Minute“ zu fokussieren, darfst du spielerisch an die Sache herangehen. Versuche bei deinem nächsten Lauf einmal, die Schrittfrequenz vorübergehend leicht zu erhöhen, und beobachte, wie sich dein Laufstil und dein Laufgefühl dadurch verändert.
Zum Weiterlesen
- Laufe schneller und ökonomischer – mit der richtigen Armhaltung
- Das richtige Lauftempo: Alles, was du über Herzfrequenz, Pace und Co. wissen musst
- So bringst du mehr Flow in dein Lauftraining
- Warum wir JEDEN Tag stretchen (und was sich dadurch verändert hat)
- 17 Tools für ein effektives Kraft- und Stabitraining zu Hause
Sandra
Lieber Daniel,
Vielen Dank für diese wertvollen Tipps.
Zum Läuferdreieck hatte Victor Röthlin (ehemaliger Schweizer Top-Marathonläufer) einst gesagt, man solle sich vorstellen, dass eine Toblerone in das Armdreieck passe.
Ich fand dieser bildliche Vergleich so witzig und auch passend und ich denke seither oft daran, wenn ich meine Körperhaltung beim Laufen checke.
Katrin Schäfer
Danke Sandra – und jedes Mal (wie z.B. beim Rückflug aus Norwegen im Duty Free-Shop) fragen wir uns, wann es denn endlich eine vegane Toblerone gibt … Der Markt dafür wäre sicherlich da, und lecker war sie, ohne Frage!
Bernd Wrede
Danke insbesondere für die vielen Ernährungstipps auf dieser Seite. Ich habe vor ca. 3 Monaten begonnen, mich vegan zu ernähren. Und ich darf sagen, dass ich mich besser fühle. Ich bin, glaube ich, das war mir wichtig, auch körperlich leistungsfähiger geworden.
Katrin Schäfer
Hallo Bernd, freuen uns, dass du auf unsere Seite gefunden hast – und wir wünschen dir alles Gute auf deinem veganen Weg.