Eine Frage an die Frauen: Könnt ihr euch noch an diesen Gedanken erinnern, als ihr euch zum letzten Mal für einen Laufwettkampf angemeldet habt: “Unglaublich, dass ich das einfach machen kann und mich niemand davon abhalten will?”
Nein?
Ich auch nicht.
Als ich mich vor über sechs Jahren im Oktober 2006 für meinen ersten Marathon in Köln anmeldete war das für mich eine Selbstverständlichkeit – und dass ich regelmäßig die Laufschuhe schnürte sowieso.
Was ich damals nicht wusste: Noch in den 1960er Jahren waren die Marathons auf der ganzen Welt reine Männerveranstaltungen. 800 Meter – das war die längste offizielle Wettkampfdistanz für Frauen. Damals war jedem klar, dass längere Distanzen schlichtweg zu hart für das “schwache Geschlecht” waren.
Die Liste der Gefahren, denen sich Frauen beim Laufen aussetzten, war lang und kurios: Neben dicken Beinen und dem Wachsen eines ausgeprägten Bartes bestand natürlich auch das Risiko, nicht mehr schwanger werden zu können – die Gebärmutter drohte ja durch das ständige Aufprallen Schaden zu nehmen …
Und dann kam Kathrine Switzer.
Vor etwa zweieinhalb Jahren schenkte mir meine Tante das Buch Marathon Woman*. Die Autorin: Kathrine Switzer. Den Namen kannte ich damals genauso wenig wie die Geschichte, von der Kathrine in ihrem Buch erzählt: Die Geschichte, wie sie als erste Frau mit einer offiziellen Startnummer den Boston Marathon lief und den “Laufen-ist-nichts-für-Frauen”-Skeptikern zeigte, dass sie sich geirrt hatten.
Kathrine Switzer machte den Marathon für Frauen salonfähig
Als Kind eines amerikanischen Soldaten in Deutschland geboren kam Kathrine mit drei Jahren wieder zurück in die Vereinigten Staaten. Entgegen ihrer Wünsche hatte sie als junges Mädchen überhaupt keine weibliche Figur und hoffte, dass der Einstieg ins Cheerleaderteam das ändern würde. Ihr Vater war gegen ihr Vorhaben und empfahl ihr einen Sport, bei dem man ihr zujubelte (und nicht sie als Cheerleaderin den Footballspielern).
Er motivierte sie, mit dem Laufen zu starten. Täglich eine Meile. So würde sie fit werden und die nötige Kondition bekommen, um ins Hockey-Team aufgenommen zu werden. Zu Beginn ihres Trainings kam ihr eine Meile wahnsinnig lang vor, und sie tastete sich langsam an die “volle” Distanz heran. Nachbarn, die sie laufen sahen, machten sich Sorgen, ob es ihr gut ginge und ob zu Hause alles okay sei – Ende der 1950er Jahre war es für eine junge Frau nicht üblich, einfach zu laufen.
Mir gefällt Kathrines Beschreibung, dass sich an manchen Tagen eine Meile sehr einfach anfühlte, und sie an anderen Tagen nicht wusste, ob sie die Distanz schaffen würde. Dieses Phänomen kennt jeder – egal ob blutiger Laufanfänger oder Ultra-Marathonläuferin. Auch ich habe manchmal den Eindruck, auf einem langen Trainingslauf über 32 Kilometer zu fliegen, und drei Tage später quäle ich mich bestens ausgeschlafen und mit vollem Energiespeicher über eine kurze Regenerationsrunde.
Kathrines konstantes Lauftraining in den Sommerferien zahlte sich jedenfalls aus: sie wurde prompt ins Hockeyteam aufgenommen – dank der richtigen Portion an Kondition und Ausdauer.
Doch beim Hockey sollte es nicht bleiben …
„Frauen können keinen Marathon laufen!“
Einige Jahre später lernte sie bei einem Collegewechsel ihren späteren Coach Arnie Briggs kennen. Briggs hatte zu diesem Zeitpunkt bereits 15 Mal den Boston Marathon gefinisht und immer spannende Geschichten über den ältesten aller Stadtmarathons auf Lager. Auch er war der Überzeugung, dass Frauen keinen Marathon laufen können, weil “ein Marathon härter wird, je länger er dauert.”
In einer heftigen Diskussion überzeugte Switzer ihren Trainer jedoch, sie für den Boston Marathon anzumelden. Immerhin gab Briggs zu: wenn es überhaupt eine Frau schaffen könnte, dann Kathrine. In das Formular trug sie ihren Namen als „K.V. Switzer“ ein – dass sich damit zum ersten Mal ein weiblicher Teilnehmer für ihren Marathon registriert hatte blieb den Organisatoren daher verborgen. Bis zu diesem Tag war Kathrine nie weiter als 10 Meilen (ca. 16 km) gelaufen … und es sollten ihr nur noch 3 Monate für das Training bleiben.
Switzer beschreibt in ihrem Buch detailliert ihre Vorbereitung für den Boston Marathon. Meine eigene Vorbereitung für mein Marathon-Debüt kommt mir dagegen im Nachhinein geradezu lasch vor. Einige Wochen vor dem großen Tag lief Switzer nämlich die geschätzte Strecke (damals schmückte eine GPS-Uhr noch nicht standardmäßig das Handgelenk eines Läufers) von 26 Meilen und 385 Yards (42,195 Kilometer). Briggs wollte sicher gehen, dass Kathrine sich in Boston nicht blamieren würde und auch wirklich ins Ziel kam.
Doch damit nicht genug – um ganz sicher zu gehen, verlängerten die beiden auf Kathrines expliziten Wunsch die Strecke um 5 Meilen, so dass am Ende meine Uhr knapp 50 Kilometer angezeigt hätte! Zum Vergleich für alle, die sich noch nicht auf einen Marathon vorbereitet haben: Die meisten “Normalsterblichen” legen in der Vorbereitungsphase nie mehr als 35 Kilometer am Stück zurück.
Ich möchte den Inhalt des Buches nicht komplett auflösen, aber: Ja, Kathrine ist gelaufen, und sie ist ins Ziel gekommen. Die Bilder, wie Renndirektor Jock Semple Switzer am Weiterlaufen hindern wollte, gingen um die Welt. Das war 1967.
Frauen-Marathon auf dem Weg zu Olympia

Erst fünf Jahre später wurden Frauen offiziell zum Boston Marathon zugelassen. Anschließend dauerte es noch bis 1984, ehe Frauen auch im Rahmen der Olympischen Spiele Marathon laufen durften – dafür muss eine Sportart nämlich in mindestens 40 Ländern auf drei Kontinenten vertreten sein.
Und auch hier spielte Switzer eine entscheidende Rolle: Zusammen mit dem Kosmetikunternehmen Avon rief sie den Avon-Frauenmarathon ins Leben und sorgte so über einige Jahre hinweg für die geforderte Anzahl an Wettkämpfen.
Switzer lief 2011 im Rahmen des Berlin Marathons ihren 39. Marathon, und kann auf eine Finisher-Zeit von 4:36:32 mit 64 Jahren extrem stolz sein. Mein vollster Respekt vor dieser Leistung. Ihre eigene Bestzeit liegt übrigens bei 2:51:37, gelaufen beim Boston Marathon im Jahr 1975.
Und sie hat nicht nur viel für die Marathonwelt erreicht, sondern ist auch noch eine extrem sympathische Persönlichkeit. Ich hatte sie über ihren Blog angeschrieben und nach einem Foto für diesen Beitrag gefragt. Ich hatte nicht wirklich mit einer Antwort gerechnet – und wäre am nächsten Tag fast vom Stuhl gefallen, als eine E-Mail mit Absender “Kathrine Switzer” in mein Postfach flatterte. Kathrine persönlich schickte mir das Bild, das du hier siehst, zudem noch mit einem sehr netten Text dazu.
Marathon Woman* ist mit dafür verantwortlich, dass ich selbst den Wunsch hatte, einmal beim Boston Marathon mitzulaufen. Diesen Wunsch werde ich mir in 2013 erfüllen können. Wie es dazu kam, ist eine andere Geschichte …
Hallo Katrin,
ich glaube da geht es Dir ähnlich mir vor vier Jahren. Daniel empfahl mir damals das Buch Ultra-Marathon von Dean Karnazas. Ich hatte Dean 2008 auf einem 100 Std. Rennen in Seoul gesehen und bin immer wieder erstaunt zu welchen Leistungen der menschliche Körper im Stande ist.
Grüße,Andi
P.S.: Das Buch-Cover erinnert mich an Cat-Woman:)!
Hallo Andi, das Buch von Dean Karnazes habe ich natürlich auch gelesen, genau wie 50/50. Beide sind natürlich hochmotivierend. Wow, und du hast Dean Karnazes sogar live gesehen, das ist natürlich noch mal extra-Motivation! Viele Grüße, Katrin
Hi Andi, Dean Karnazes ist gut, aber Scott Jurek ist viiiiiiel besser 😉 Lies mal „Born to Run“! Grüße und gute Erholung, du hast dich richtig gut geschlagen gestern!
Es ist schon toll, dass es heute so selbstverständlich ist, dass sowohl Männer als auch Frauen sich – egal für welche Distanz – die Laufschuhe schnüren können. Es ist schon krass, dass das vor nicht allzu langer Zeit noch nicht selbstverständlich war.
Ich bin aktuell sehr inspiriert von Crazy Sexy Life. Die Gesichte von Kris Carr inspiriert mich sehr und es ist so toll, dass sie nicht nur das Thema Ernährung behandelt, sondern allgemeines Wohlbefinden, wozu auch ein achtsamer Umgang mit sich selbst und anderen gehört.
Außerdem mag ich, dass sie so urteilsfrei ist und einfach sagt: „Tu, was du kannst, geh soweit, wie es dir möglich ist – das ist völlig ausreichend.“
Hallo Julia, ich glaube, jetzt muss ich mir doch mal eine Leseprobe runterladen… Hab ich jetzt schon von so vielen Leuten gehört!
Oh ja, das Buch von Kris ist auch eines meiner Lieblingsbücher! Sehr inspirierend! Auch auf ihrem Blog schaue ich immer mal wieder gerne vorbei: http://crazysexylife.com/ Meistens kommen dort „jedoch“ Gastblogger zu Wort.
Okay, die Leseprobe habe ich runtergeladen. Wird hoffentlich am Wochenende gelesen 😉