Ängste sind ein Thema, das viele Menschen betrifft – das zeigt auch die Umfrage zu den Neujahrsvorsätzen der beVegt-Community, die wir vor einigen Wochen durchgeführt haben. Viele von euch haben dort den Wunsch geäußert, in diesem Jahr endlich mutiger zu werden, neue Herausforderungen anzugehen und sich mit den eigenen Ängsten auseinander zu setzen.
Auch ich habe gerade erst wieder im beVegt-Podcast von meiner Höhenangst erzählt, die in den letzten Jahren leider immer stärker geworden ist.
Unsere Hörerin Daniela hat uns daraufhin eine E-Mail geschickt, die wir mit ihrer Erlaubnis in diesem Beitrag mit dir teilen möchten. Daniela, die als systemische Supervisorin und Coach arbeitet, hat ihre professionelle und gleichzeitig verständnisvolle und praxisnahe Sichtweise auf das Thema geteilt, die vielleicht auch dir helfen kann – egal, um welche Form von Angst es geht.
Was dabei wichtig ist: Danielas Tipps richten sich an Menschen, die unter leichten Ängsten leiden. Sollte dein Alltag durch deine Angst deutlich beeinträchtigt sein, dann empfiehlt sie dir, dies in deiner Hausarztpraxis anzusprechen oder eine psychotherapeutische Begleitung in Betracht zu ziehen. Daniela selbst darf mit ihrer Ausbildung keine Krankheiten behandeln.
Warum Angst so hartnäckig ist
Auch wenn es sich erst mal komisch anhört, aber: Ängste sind eigentlich etwas Gutes.
Daniela schreibt, dass Angst eine Schutzreaktion des Körpers ist, die evolutionär extrem sinnvoll war. In einer beängstigenden Situation löst unser Körper eine Stressreaktion aus – bestimmt hast du schon mal von dem „Fight or Flight“-Mechanismus gehört: Das Herz rast, wir schwitzen und zittern, und unser Körper schüttet Stresshormone wie Cortisol und Adrenalin aus.
Wenn wir aus der Situation flüchten, fällt die Angst schnell ab und wir fühlen uns wieder sicher. Diese Erfahrung bestärkt unser Gehirn aber darin, dass Flucht die beste Lösung ist.
Die Angst, die wir in wirklich gefährlichen Situationen empfinden, kann sich auch auf andere Situationen ausweiten. Wir haben dann Angst vor größeren Menschenansammlungen, vor Hunden (davon können Daniel und ich ein Lied singen), vor sozialen Interaktionen, oder eben vor dem Gang über eine hohe Brücke.
Das Problem: Je häufiger wir solche Situationen meiden, die uns Angst machen, desto stärker wird die Verbindung im Gehirn zwischen der Situation und der vermeintlichen Gefahr.
Wir lernen nicht, dass die Angst auch wieder nachlässt, wenn wir bewusst in der Situation bleiben. Tatsächlich dauert der Höhepunkt der Angst nämlich meist nur wenige Minuten, und sie nimmt dann ganz von alleine wieder ab, weil es viel zu viel Energie kosten würde, die Stressreaktion länger aufrecht zu erhalten.
Ein konstruktiver Umgang mit Ängsten
Daniela erklärt, dass Vermeidung die Angst verstärkt und empfiehlt stattdessen, sich ihr Schritt für Schritt zu stellen. Dabei ist es wichtig, die Herausforderung in kleinen, machbaren Schritten zu steigern, um positive Erfahrungen zu sammeln und das eigene Handlungsspektrum wieder zu erweitern.
Für mich könnte das zum Beispiel bedeuten, erst einmal auf ein niedriges Klettergerüst zu steigen, bevor ich mich an größere Herausforderungen wie eine schmale Fußgängerbrücke über den Main wage – und irgendwann vielleicht an einem guten Tag eine Rheinbrücke in Angriff nehme. Das Prinzip lässt sich jedoch auf viele Situationen übertragen, z. B. langsam wieder Kontakt zu Hunden aufzunehmen, wenn man Angst vor ihnen hat, oder sich nach und nach an immer „größere“ soziale Situationen heranzutasten.
Das Ziel sollte dabei nicht sein, die Angst komplett zu beseitigen, sondern zu lernen, sie auszuhalten und darauf zu vertrauen, dass sie nach einer gewissen Zeit von selbst nachlässt. Eine hilfreiche Übung könnte sein, in einer beängstigenden Situation kurz innezuhalten, statt sofort zu flüchten, und zu beobachten, was dann mit dem Angstgefühl passiert.
Neben der Vermeidung fördert auch ein übertriebenes Kontrollbedürfnis die Angst. Wenn wir uns zum Beispiel nur sicher fühlen, wenn wir alles bis ins kleinste Detail kontrollieren können, signalisiert das unserem Gehirn, dass die Situation ohne diese Kontrolle extrem gefährlich ist. Hier kann es hilfreich sein, mit der Zeit immer mehr von dieser Kontrolle loszulassen und sich so selbst zu beweisen, dass nichts Schlimmes passiert.
Kleine Schritte, große Wirkung
Falls du dich entschieden hast, deine Ängste anzugehen, könnte eine mögliche Strategie so aussehen:
- Überlege dir verschiedene Situationen mit steigenden Schwierigkeitsgraden.
- Beginne mit der einfachsten Aufgabe, z. B. einen kleinen Hund auf Abstand zu beobachten, eine kurze Unterhaltung mit einer bekannten Person zu führen oder eine niedrige Brücke zu überqueren.
- Halte die Angst aus und beobachte, wie sie nach und nach nachlässt.
- Steigere dich langsam, ohne dich zu überfordern.
Es ist wichtig, geduldig mit dir selbst zu sein und dir die Zeit zu geben, die du brauchst. Der Prozess kann auch zusammen mit einer Therapeutin oder einem Therapeuten begleitet werden, aber oft reichen kleine, eigenständige Schritte schon aus, um die Angst zu mindern.
Ein liebevoller Blick auf die Angst
Ein Gedanke, der Daniela besonders wichtig ist: Angst meint es eigentlich gut mit uns. Sie will uns beschützen, übertreibt dabei jedoch manchmal. Mit diesem Verständnis kannst du vielleicht etwas liebevoller auf deine Angst schauen und erste Schritte unternehmen, um sie zu bewältigen.
Wir hoffen, dass dir dieser Ansatz Mut macht, wenn du dich mit deinen Ängsten auseinandersetzen möchtest. Vielen Dank an Daniela für diese inspirierende und hilfsbereite Rückmeldung!
Hier findest du mehr zu Danielas Arbeit
Und wenn dir beim Lesen ein Gedanke oder eine Idee kam, die du mit uns und der beVegt-Community teilen möchtest, dann schreib gerne einen Kommentar! Wir freuen uns, von dir zu lesen!
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Hallo Ihr beiden,
vor langer Zeit (seit meiner Kindheit bis ich ungefähr 36 war) hatte ich immer Angst vor Spinnen (wie viele von uns). Als im Natureum hier in der Nähe jemand Rieseninsekten wie Riesentausendfüßler, „lebende Blätter“, Gottesanbeterinnen und eben Vogelspinnen zum Anfassen mitgebracht hat, bin ich mit meinem damals kleinen Sohn hin. ALLE Kinder ließen die Tiere auf sich herumkrabbeln. Und mir wurde eine Vogelspinne auf die Hand gesetzt! 😱Sowas Schönes! Sie war ganz leicht und weich behaart, ich durfte sie (nur in eine Richtung) streicheln. Und mein Sohn meinte, das wären doch die gleichen Spinnen wie die zuhause / im Keller usw. Nur eben wären diese „vergrößert“! Und: Seitdem bin ich „geheilt“, ich fasse die „normalen“ Spinnen zwar nicht an, aber wir leben friedlich miteinander! 😄 Also: Über den Schatten springen und sich ranzutasten ist nicht einfach, aber Mut tut gut!
Liebe Grüße!
Hallo Anja,
superstark und sehr mutig. Ich hab keine besondere Angst vor Spinnen, aber das hätte ich glaube ich doch nicht gemacht. Deswegen hab ich großen Respekt!
Hallo Ihr Beiden,
ich habe erst mit Ende 30 den Autoführerschein gemacht, weil ich immer wusste, Auto fahren ist furchtbar anstrengend und stressig (ich wohne in Berlin), weil ich nicht gut darin bin, so viel Input gleichzeitig wahrzunehmen, das Auto zu steuern und dann noch möglichst schnell und gut auf ständige unerwartete Situationen zu reagieren. Na ja, es hat sich bestätigt und obwohl ich mittlerweile in 8 Jahren über 60.000 km mit meinem Auto gemacht habe (unfallfrei!) verfalle ich bis heute bis kurz vor dem Einsteigen in eine Art Angststarre. Sie ist nicht mehr annähernd so stark wie früher, aber noch immer überlege ich jedes Mal, ob es wirklich nötig ist, mit dem Auto zu fahren oder ob ich mich nicht irgendwie drücken könnte, z. B. als ich neulich meine bestellten Kettlebells mit fast 50 Kilo Gesamtgewicht lieber mit dem Fahrrad von der Post holen wollte … Dabei musste ich nur 500 Meter Luftlinie fahren. 😀 Ihr versteht, was ich meine. Also irgendwie komme ich nicht richtig darüber hinweg, hab aber bis heute keine Lösung dafür gefunden. Und natürlich werfen mich selbst kleine negative Erlebnisse direkt wieder spürbar zurück, z. B. letztens erst, als mir ein entgegenkommender Autofahrer an einer Engstelle die Vorfahrt genommen hat. So was stresst mich wahnsinnig noch im Nachhinein. Da gibt es ja leider auch kein vorsichtiges Herantasten an die angstauslösende Situation. Entweder ich fahre oder eben nicht, und kritische Situationen ergeben sich schlagartig und unerwartet. Schwierig.
Hallo Nancy, ich finde es richtig stark, dass du mit Ende 30 den Führerschein noch gemacht hast und Auto fährst. Darf ich fragen, was dich dazu gebracht hat, es zu tun? Hast du die Angst einfach überwunden oder war der Führerschein damals für dich absolut notwendig, um z.B. zur Arbeit zu pendeln?