Sie enthalten mehr Eisen als Spinat, mehr Calcium als Milch, schmecken köstlich und kosten keinen Cent: Wildkräuter sind eine tolle Bereicherung für jeden Speiseplan – auch (vegane) Sportler:innen können von diesen „natürlichen Nahrungsergänzungsmitteln“ profitieren.
Doch wie wird man zum Wildkräutersammler? Was muss man wissen, worauf muss man achten, und was stellt man schließlich mit den gesammelten Kräutern an?
Diese Fragen haben wir Regine Ebert gestellt, einer Expertin für Wildkräuter und Heilpflanzenkunde, die in der Rhein-Main-Region seit vielen Jahren Seminare und Führungen für Wildkräuter-Interessierte anbietet und auch uns mit ihren Kenntnissen schon mehrmals begeistert hat.
Viel Spaß beim Lesen, Sammeln und Verarbeiten!
beVegt: Frau Ebert, warum sollte man überhaupt Kräuter sammeln gehen, wo es die doch heute portionsweise abgepackt in jedem Supermarkt gibt?
Regine Ebert: Es ist ein großer Unterschied, ob man Kräuter im Supermarkt kauft oder in der freien Natur sammelt. Wildkräuter enthalten eine Vielzahl gesunder Inhaltsstoffe, die sich in den Supermarktkräutern nur in geringem Umfang finden lassen. Außerdem bieten Wildkräuter viele ungewohnte Geschmacksrichtungen, mit denen sich in der Küche gut experimentieren lässt.
beVegt: Was empfehlen Sie jemandem, der gerne mit dem Wildkräutersammeln anfangen möchte?
Regine Ebert: Am besten, man besorgt sich zuerst ein gutes Bestimmungsbuch oder nimmt z.B. an einem Wildkräuterspaziergang teil, bei dem man die Pflanzen kennen lernen kann. Sammeln Sie nur das, was sie genau bestimmen können. Und versuchen Sie nicht, sich alle Kräuter auf einmal zu merken. Es ist besser, ein paar Pflanzenarten gut zu kennen als viele Pflanzen nur oberflächlich.
Tipp: Wir können dir die Bücher Essbare Wildpflanzen* und Essbare Wildkräuter und ihre giftigen Doppelgänger* empfehlen, die wir beide zur Pflanzenbestimmung verwenden.
beVegt: Gibt es typische Anfängerfehler? Wie vermeidet man sie?
Regine Ebert: Anfänger sind oft enttäuscht, weil viele Wildkräuter herber oder auch etwas bitterer schmecken als die gewohnten Gartenkräuter. Gehen Sie sparsam mit diesen Kräutern um, verwenden Sie sie als Gewürz. Ganz wichtig: Pflücken Sie die jungen Blätter oder Triebspitzen der Pflanzen. Die älteren Blätter schmecken meist nicht mehr so gut, und auch während der Blüte werden viele Kräuter bitterer.
Und noch ein ganz wichtiger Tipp: Gehen Sie achtsam mit der Natur und den Pflanzen um. Sammeln Sie so, dass sich die Pflanze erholen und weiterwachsen kann.
beVegt: Braucht man eine bestimmte “Ausrüstung” zum Kräutersammeln?
Regine Ebert: Neben dem Bestimmungsbuch ist ein Körbchen oder eine Leinentasche sinnvoll. Ein paar Butterbrottüten tun es aber auch. Verwenden Sie keine Plastiktüten, darin fangen die Pflanzen schnell an zu schwitzen und verlieren ihr Aroma. Nehmen Sie auch ein Messerchen oder eine kleine Schere mit, da einige Pflanzen sich schlecht pflücken lassen. Die Schafgarbe zum Beispiel hat einen so harten Stängel, dass man beim Pflücken leicht die Wurzel mit ausreißt.
beVegt: Gibt es Wildkräuter, die für Einsteiger ins Wildkräutersammeln besonders gut geeignet sind?
Regine Ebert: Gut geeignet sind natürlich „Klassiker“ wie Löwenzahn oder Gänseblümchen, weil sie leicht zu erkennen sind und bis in den Herbst hinein geerntet werden können. Auch der Giersch gehört dazu. Mit seinem aromatischen, milden Geschmack, der zwischen Petersilie und Karotte liegt, ist er ein gutes Kraut für Einsteiger.
Aber auch mit dem Spitzwegerich kann man nicht viel falsch machen, genauso mit der weißen Taubnessel. Beide haben ein feines Pilzaroma und sind auch gut zu erkennen. Und natürlich gehört auch die echte Brennnessel dazu, die als Suppe, Gemüse, Pesto, im Quark oder in der Kräuterbutter gut zu verarbeiten ist.
beVegt: Kann man auch als Großstadtbewohner Wildkräuter sammeln? Wie findet man einen geeigneten Ort für die Kräutersuche?
Regine Ebert: Manchmal ist es schwierig, in der Großstadt oder in einem Ballungsraum wie dem Rhein-Main-Gebiet gute Stellen zu entdecken. Aber es gibt sie, und mit ein bisschen Geduld findet man sie auch. Wichtig ist, dass die Sammelplätze nicht direkt an einer vielbefahrenen Straße liegen. Sammeln sollte man auch nicht direkt an Feldern, die gespritzt werden, oder an Hundeauslaufstrecken. Aber sogar in Frankfurt gibt es hundefreie Parks, wie z.B. den Günthersburgpark oder die große Liegewiese im Niddapark. Am Stadtrand gibt es außerdem viele Wiesen, auf denen man sammeln kann, z.B. entlang der Nidda. Auch an Wald- und Gebüschrändern wird man fündig.
beVegt: Was stellt man zuhause mit den gesammelten Wildkräutern an, außer sie in den Salat zu mischen?
Regine Ebert: Die meisten Wildkräuter lassen sich auch gekocht verwenden. Löwenzahn passt z.B. wunderbar in ein Kartoffelgratin, Giersch ins Risotto. Da sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Aus einer guten Wildkräutermischung können Sie ein leckeres Pesto herstellen, das sich im Kühlschrank eine Weile hält. Und viele Kräuter lassen sich natürlich auch als Tee aufbrühen. Getrocknet kann man sich eine Mischung für ein Wildkräutersalz zusammenstellen oder einen Vorrat für den Winter anlegen.
beVegt: Es gibt ja bestimmte Nährstoffe, die man gerade bei einer rein pflanzlichen Ernährung im Auge behalten sollte – zum Beispiel Eisen, Calcium oder Zink. Gibt es da spezielle “Wildkräuter-Geheimtipps”, die besonders hohe Mengen dieser Nährstoffe enthalten?
Regine Ebert: Viel Eisen enthalten Vogelmiere, Brennnessel, Wilde Malve oder Schlangenknöterich. Den höchsten Eisengehalt hat das Franzosenkraut, auch Knopfkraut genannt, nämlich 14 mg pro 100 g. Das ist dreieinhalb mal so viel wie Spinat. Vogelmiere und Brennnessel enthalten immer noch doppelt so viel Eisen wie Spinat.
Besonders calciumreich ist mit großem Abstand die Brennnessel, gefolgt vom Franzosenkraut. Auch Bärenklau und Gänseblümchen sind sehr calciumreich. Der durchschnittliche Calciumwert unserer Kulturgemüse liegt bei etwa 65 mg pro 100 g. Zum Vergleich: Das Gänseblümchen hat 190 mg pro 100 g, die Brennnessel 630 mg pro 100 g.
Zink findet man im wilden Amarant, dem so genannten Fuchsschwanz, in verschiedenen Taubnesseln wie der Weißen Taubnessel und der Gefleckten Taubnessel, im Weißen Gänsefuß, Giersch, Spitz- und Breitwegerich.
Viele Wildkräuter haben außerdem einen hohen Eiweißgehalt.
beVegt: Sportler und insbesondere Läufer schlagen sich immer mal wieder mit kleineren Blessuren herum, zum Beispiel mit Muskelzerrungen, Sehnen- und Bänderschmerzen. Welche Pflanzen können hier Linderung verschaffen? Und welche Möglichkeiten gibt es, sie zu verabreichen?
Regine Ebert: Da steht der Beinwell an erster Stelle. Verwendet wird vor allem die Wurzel. Beinwell wirkt schmerzstillend und heilend bei Beschwerden der Bänder, Knochen, Sehnen und Gelenke. Am effektivsten ist es, die Wurzel zu reiben und den Wurzelbrei auf die betroffene Stelle aufzulegen.
Wer es einfacher haben möchte, stellt daraus eine Salbe oder eine Tinktur (Alkoholauszug) zum Einreiben her. Beinwellsalben gibt es auch in der Apotheke.
Bei Prellungen und Zerrungen können aber auch ein gutes Johanniskraut- oder Gänseblümchen-Auszugsöl helfen. Beim Johanniskraut Blüten, Knospen und einige Blätter, beim Gänseblümchen Blätter und Blüten in Öl einlegen und 5-6 Wochen an einem sonnigen Platz ausziehen lassen.
beVegt: Frau Ebert, vielen Dank für dieses interessante Interview!
Zum Weiterlesen und -hören
- Weitere Informationen zu den Seminaren und Vorträgen von Regine Ebert sowie einige Leseproben ihrer Artikel zum Thema Wildkräuter und Heilpflanzen findest du unter www.regine-ebert.de
- Hör dir auch unsere Podcast-Folge mit Regine Ebert an
- Übrigens: Bei unseren veganen Laufwochenenden in Hanau gehört immer auch eine Wildkräuterwanderung mit zum Programm!
Nadja
Ein tolles Interview, vielen Dank und genau mein Thema grad! Ich such auch schon länger eine Wildkräuter-Tour hier bei uns in der Nähe. So ein paar Fragen hab ich dazu dann doch noch, als dass ich allein nur mit Buch losziehen würde. Oder weißt du was dazu? Z.B. wie sieht das mit dem vielgerühmten Fuchsbandwurm aus? Überschätzt? Kräuter unbedingt waschen vor dem Verzehr oder nicht nötig? Wie sieht das mit der Erde aus, an dem Ort, an dem man sammelt? Weiß man irgendwoher, ob sie unbelastet ist von irgendwelchen Altlasten?
Liebe Grüße aus Berlin,
Nadja
Daniel Roth
Hi Nadja, unsere Erfahrung zeigt, dass es am Anfang ganz schön schwer ist, die Wildkräuter zu identifizieren. Wir sind damals auch einfach mit zwei Bestimmungsbüchern losgezogen und haben am Ende dann doch nur Löwenzahn mit nach Hause gebracht 😉 Es ist aber auch richtig so: die Vorsicht sollte immer an erster Stelle stehen, und wenn man sich bei einer Pflanze, zu der es giftige Doppelgänger gibt, nicht 100%ig sicher ist, sollte man die Finger davon lassen.
Zu deinen Fragen gebe ich mal das weiter, was uns Frau Ebert bei den Führungen gesagt hat: Die Fuchsbandwurm-Gefahr wird überschätzt. Man sollte sich bei der Auswahl der Sammel-Orte bloß an einige Regeln halten: ein paar Schritte weg vom Weg in die Fläche gehen, bei hochwachsenden Pflanzen eher die höheren Pflanzenteile als die Bodennahen sammeln. Wenn es zuvor geregnet hat kann man die Kräuter normalerweise ohne Bedenken an Ort und Stelle ungewaschen essen. Was die Erde betrifft: am besten in oder am Wald sammeln und möglichst nicht in der Nähe von bewirtschafteten Flächen (Getreidefeldern usw.), da dort immer Chemie zum Einsatz kommt.
Ich hoffe das hilft dir weiter! Es gibt in Berlin bestimmt auch entsprechende Seminare – wir raten dir unbedingt, eins zu besuchen! Wir haben übrigens die folgenden beiden Bestimmungsbücher:
http://www.amazon.de/Essbare-Wildpflanzen-Arten-bestimmen-verwenden/dp/3038003352/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1371300122&sr=8-1&keywords=wildkr%C3%A4uter
und:
http://www.amazon.de/Wildkr%C3%A4uter-ihre-giftigen-Doppelg%C3%A4nger-sammeln/dp/3440126234/ref=sr_1_2?ie=UTF8&qid=1371300136&sr=8-2&keywords=wildkr%C3%A4uter
Liebe Grüße aus Frankfurt!
Daniel
Nadja
Lieber Daniel!
Vielen herzlichen Dank für deine Antwort! 🙂 Das hilft mir auf jeden Fall schon weiter und bestärkt mich darin, auf jeden Fall mal eine Tour mitzumachen! Wir haben in der Nähe auch ganz schöne Grünflächen, aber ich war/bin mir noch etwas unsicher, ob das noch zu nah an der Stadt dran ist. Aber das können wir die Kräuterkundigen dann ja auch fragen!
Vielen Dank auch für all die anderen interessanten Beiträge hier, ich lese sehr gerne mit!
Liebe Grüße,
Nadja
Din
Mit diesem Beitrag habt ihr bei mir voll ins Schwarze getroffen. Danke!
Ich bin ja eine richtige Kräutertante, allerdings bis jetzt meist nur auf der Terrasse. Dabei wäre es doch auch für mich so einfach, da ich ja sowieso recht häufig durch Wälder laufe. Ich brauche also mal so ein Buch, damit ich ganz sicher bin, was neben den üblichen Verdächtigen noch so sammelbar ist.
Beinwell kenne ich auch als Tinktur, finde ich persönlich sehr gut bei Verspannungen von Muskeln.
Daniel Roth
Hi Din, auch mit Buch ist es noch immer ziemlich schwierig ein Kraut zu identifizieren 😉 Wir sind bis jetzt auch eher sporadisch sammelnd unterwegs, aber die Kräuterwanderungen mit Frau Ebert haben uns vor Augen geführt, WIE VIEL essbares so überall um uns herum wächst. Wenn man weiß wie es geht und wo man suchen muss kann man eimerweise Kräuter nach Hause schleppen… das ist keine Übertreibung!
Beinwell ist wirklich toll, und wenn du mal gesehen hast, wie man so eine Wurzel aus dem Boden zieht, willst du dich sofort daran machen, dir eine Lösung anzusetzen 🙂
Eine andere tolle und vielseitige Heilpflanze, die man häufig finden kann, ist übrigens die Schafgarbe.
LG, Daniel
Frank Spade
Beim Wandern hilft ein Blatt Breitwegerich, dass etwas gequetscht wurde damit Saft austritt, als lindernde Auflage bei Blasen und Scheuerstellen. Einfach auf die Haut legen und den Strumpf drüber ziehen.
Als kleine Erfrischung beim Wandern hilft die Spitze einer Brennnessel mit den obersten vier bis sechs Blättern, die zu einer Kugel gerollt wird, u.a. um die Brennhaare zu brechen. Das Bällchen kann dann gekaut werden und hilft so gegen Durst.
Daniel Roth
Danke für die ergänzenden Tipps Frank!
inga
ich habe letztes jahr ein wildkräuter-seminar von frau ebert auf dem obsthof schneider besucht. eine interessante tour über die naheliegenden felder mit anschließender verarbeitung der wildkräuter zu köstlichen speisen. kann ich nur jedem empfehlen, der in frankfurt und umgebung lebt.
https://www.frankfurter-stadtevents.de/themen/1170/20010358/
ich habe ganz viele fotos und notizen gemacht. das ist ein wenig wie spickzettel schreiben: was man notiert hat bleibt im kopf und hilft weiter.
und frau ebert vermittelt ihr wissen auf eine sehr angenehme, interessante art und ist für alle fragen offen.
absolut eine empfehlung und danke für euer interview!