2004 kam ich zum ersten Mal mit Richard Dawkins in Berührung: Der entzauberte Regenbogen*, Hardcover, Mängelexemplar, Wühltisch bei der Wohltatschen Buchhandlung, Kostenpunkt: ein Euro. Die Überschrift des ersten Kapitels lautet „Die betäubende Wirkung des Vertrauten.“ Es fängt so an:
Wir alle müssen sterben, das heißt, wir haben Glück gehabt. Die meisten Menschen sterben nie, weil sie nie geboren werden.
Etwas später erklärt uns Dawkins, was er damit meint:
Es gibt eine Betäubungswirkung des Vertrauten, einen Beruhigungseffekt des Normalen, das die Sinne einschläfert und das Wunder des Daseins verschleiert.
Eine Aufforderung also, die Perspektive zu wechseln. Nicht mehr darüber zu verzweifeln, dass man irgendwann sterben muss, ob man will oder nicht – sondern stattdessen die extreme Unwahrscheinlichkeit der eigenen Existenz zu erkennen und sich darüber zu freuen wie ein Kind.
Dawkins ist als Biologe natürlich vor allem daran interessiert, den Menschen die Naturwissenschaften näher zu bringen. Sein Bild von der betäubenden Wirkung des Vertrauten lässt sich aber mühelos auf ganz alltägliche Aspekte unseres Lebens übertragen.
In so vielem lassen wir uns von Routine, Gewohnheit und Automatismen steuern. Einige Beispiele dafür, was Menschen heute für normal halten, weil sie es nicht anders kennen:
- Zu konsumieren, ohne sich befriedigt zu fühlen
- Nach einer Diät wieder zuzunehmen
- Energielos und müde zu sein
- Sich vom inneren Schweinehund besiegen zu lassen
- Angst vor der Zukunft zu haben
- Sich mit seiner Situation abzufinden
- Träume nicht zu verwirklichen
Bloß: Dass etwas schon immer so oder so gewesen ist bedeutet nicht, dass es auch in Zukunft so bleiben muss.
Wenn wir die Betäubungswirkung des Vertrauten abschütteln wollen, müssen wir die Perspektive wechseln, das heißt: das Normale, Gewohnte, Schon-immer-dagewesene hinterfragen und den Alternativen eine faire Chance geben.
Manchmal erleben wir dann diese großartigen Momente, in denen wir ein Stück reifer und ein klein wenig mehr zu dem Menschen werden, der wir sein wollen – wenn wir hinter das Vertraute blicken und etwas erkennen, das uns zuvor nicht bewusst war.
In diesen Momenten haben wir die große Chance, die Kontrolle zurück zu gewinnen – und zwar indem wir unser Handeln an unserem neuen Bewusstsein ausrichten.
Wir tun dann nicht mehr das, was man eben tut – sondern das, was wir für richtig halten. Wir bestimmen, wann, ob und was wir konsumieren. Wir hören auf, aus Gewohnheit zu handeln und fangen an, aus Überzeugung zu handeln.
Wir lassen uns nicht mehr von anderen sagen, wo unsere Grenzen liegen, sondern finden es selbst heraus.
Sehr schön formuliert! Jetzt habe ich gerade das Gefühl den nächsten Wühltisch aufsuchen zu müssen… 🙂
Vielen Dank… und: Tu es! 🙂
Wunderbar geschrieben! „Den Alternativen eine faire Chance geben“ – genau! Erkennen, dass man oft genug einfach nur auf „Autopilot“ schaltet. Aus Gewohnheit, ja, aus dem Bewusstsein heraus dass Nachdenken schmerzen könnte, ja, wegen Alltagsstress, der einem so viel abverlangt, ja!
Aber wenn sie wüssten, dass durch ein paar kleine Anpassungen in der Ernährung und täglichen Bewegung alles so viel leichter zu managen ist!
Danke – ja, genau so ist es gemeint. Es liegt in unserer Natur, dass wir uns in unserem Handeln zunächst mal daran orientieren, was die meisten anderen tun… deswegen halte ich auch sehr wenig davon, Fleischessern ständig zu erzählen, was sie für schlechte Menschen sind (ich war ja bis vor nicht allzu langer Zeit auch noch einer).
Wirklich wunderbar formuliert. Darüber hinaus halte ich Richard Dawkins sowieso für einen unglaublich intelligenten Menschen.
Aber auch nach dem Ausbrechen aus der Gewohnheit und dem sich Bewusstmachen, das man so vieles selber in der Hand hat, ist es das Wichtigste das auch nicht mehr zu vergessen. Und das ist glaube ich das Schwierige für viele Menschen (da schließe ich mich nicht aus) – das man so schnell in alte Muster zurückfällt.
Hallo Sarah, schön dass du unseren Blog gefunden hast 🙂
Ich bin auch ein ganz großer Dawkins-Fan. Er kann wahnsinnig gut reden und ist in Diskussionen nie herablassend, sondern immer höflich und sachlich, greift seine Kontrahenten nie persönlich an, sondern stets argumentativ. Eine tolle Persönlichkeit!
Deine Anmerkung ist natürlich ganz richtig. Wir suchen immer erstmal nach dem Weg des geringsten Widerstands, und das ist meistens nicht unbedingt der beste für uns und die Welt in der wir leben. Andererseits kann einem ein starkes Aha-Erlebnis auch unglaublich viel Kraft und Antrieb verleihen.
Wenn die Begeisterung nachlässt müssen wir versuchen, uns in diesen Moment zurückzudenken, in dem alles ganz klar und schlüssig war und wir genau wussten, was wir tun müssen.
Seit mittlerweile vier Jahren kriege ich nun jeden Montag euren Newsletter – freue mich schon immer drauf! Jetzt habe ich spaßeshalber mal gekuckt, was ihr denn so in euren Anfängen gebloggt habt und lande gleich auf dieser spannenden Seite!
Finde ich deshalb so klasse, weil meine Lieblingsband Nightwish Dawkins´ Ansichten in ihrem letzten, sehr geilen Album umgesetzt hat. Bei zwei Liedern liest Dawkins selbst etwas aus seinen Büchern vor: Shudder Before the Beautiful und The Greatest Show on Earth.
Unbedingt mal reinhören, ist nämlich die Greatest Band on Earth! Gemütlich zurücklehnen, Anlage aufdrehen und ein bisschen Zeit mitbringen, denn allein die Greatest Show dauert 20 wunderbare Minuten.
Und ich werd mir wohl mal ein Buch von Dawkins besorgen. 😉
Hey Kirsten, das ist ja genial mit Dawkins und Nighwish … hatte ich gar nicht mitbekommen. Ich hatte übrigens auch mal ne kurze Nightwish-Phase. Ist aber schon laaaaaange her (Wishmaster-Zeiten).
Zum Einstieg in Dawkins kann ich dir z.B. das hier erwähnte „Der entzauberte Regenbogen“ ans Herz legen. Das hat mich damals sehr fasziniert und mir einen ganz neuen Blick auf die Wissenschaft eröffnet.
„Das egoistische Gen“ ist das beste Pop-Science Buch das ich bislang gelesen habe – auf jeder zweiten Seite ein Augenöffner – aber es ist schon etwas stärkerer Tobak.
Hallo Daniel, ist ja ´n Ding mit deiner Nightwish-Phase 🙂 musst du unbedingt mal auffrischen, denn die mittlerweile dritte Sängering Floor ist ein Knaller, vor allem live. I love her!
Und danke für die Buchtipps, schon notiert! Bin gespannt auf die Wissenschaft, denn durch Yoga und Heilpraktik kommt man eher auf die esotherische Schiene.
lG, Kirsten