Als gebürtiger Mainzer war Frankfurt für mich lange Zeit die große Stadt mit der imposanten Skyline, die man in etwa einer Stunde mit der S-Bahn erreichen konnte.
Wenn ich an Frankfurt dachte, dann dachte ich an Banker und an Autos, die sich zur Rush Hour durch die Straßenschluchten zwängen. Frankfurt war für mich grauer Beton, Kunstlicht und Wolkenkratzer mit gläsernen Fassaden. Das Letzte, was ich damals mit Frankfurt in Verbindung gebracht hätte, war grüne Natur.
Seit ich mit Katrin hier lebe, weiß ich, dass das ein Irrtum war: Es gibt rund um Frankfurt jede Menge Möglichkeiten, rauszukommen und das sprichwörtliche Abenteuer vor der eigenen Haustür zu erleben.
Der Frankfurter Grüngürtel
Ganz besonders hat es uns der Frankfurter Grüngürtel angetan, der als Wander- und Radweg einmal in einer großen Runde von etwa 65 Kilometern um die gesamte Innenstadt führt. Dabei fühlt man sich oft ganz weit weg von der Metropole, obwohl man sie genau genommen kein einziges Mal verlässt.
2013 und 2014 haben wir auf dem Grüngürtel sogar einen privaten Ultramarathon veranstaltet, und sind zusammen mit unseren Freunden um Frankfurt herumgelaufen. Das hat richtig viel Spaß gemacht und uns gedanklich ganz weit weg vom Arbeitsalltag gebracht.
Eine echte Auszeit mit minimalem Aufwand – wenn man mal von der körperlichen Anstrengung absieht 🙂
Die Idee
So etwas wollten wir jetzt endlich mal wieder erleben. Ein Ultralauf kommt für uns aber im Moment nicht in Frage, denn wir sind voll auf unser Ziel fokussiert, uns Ende Oktober beim Frankfurt Marathon für den Boston Marathon 2019 zu qualifizieren.
Vor diesem Hintergrund hatten wir vor ein paar Monaten die Idee, dass wir den Grüngürtel ja auch einfach mal zu zweit als “Run-and-Bike-Staffel” in Angriff nehmen könnten. Das heißt: Einer fährt Fahrrad, der andere läuft, und wir wechseln uns dabei immer wieder ab. Auf diese Weise können wir Verpflegung und Wechselkleidung transportieren, uns zwischen unseren Laufabschnitten immer wieder erholen und einen ganzen Tag gemeinsam draußen verbringen.
Dieser Plan hat uns nicht mehr losgelassen, und schließlich war auch ein Termin gefunden: Unser Run-and-Bike-Abenteuer auf dem Grüngürtel konnte beginnen!
Die Regeln
Am 24. August klingelt unser Wecker schon etwas früher als sonst, denn wir wollen noch in aller Ruhe frühstücken und einen Kaffee trinken. Katrin hat uns für unterwegs leckere Reisbällchen aus dem neuen No Meat Athlete Kochbuch zubereitet (Rezept und Buchbesprechung folgen demnächst!), und wir packen außerdem noch Fruchtmus, Clif Bars, Salzkartoffeln, Aprikosen, eine Tüte Studentenfutter und drei Liter Wasser in unsere Fahrradtaschen.
Vor dem Start legen wir uns auf zwei Regeln für unseren Grüngürtel-Staffellauf fest:
- Wir wollen einen schönen Tag im Freien verbringen und das Erlebnis soll dabei im Vordergrund stehen. Es geht nicht ums Tempo oder die Zeit!
- Egal was passiert, wir unterstützen uns gegenseitig und meckern uns nicht an 🙂
Im Laufe des Tages soll aus schmerzlicher Erfahrung noch eine dritte Regel hinzukommen, aber das können wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen – und so macht sich Katrin als Startläuferin um 8:30 Uhr auf die Strecke. Bei bestem Laufwetter geht es zuerst durch die Felder zwischen Oberursel und Bad Homburg leicht bergab in Richtung Nidda, wo wir auf den Grüngürtel stoßen werden.
Unser grober Plan ist, dass jeder von uns immer etwa 45 Minuten lang laufen soll. Das ist lang genug, um als Läufer in Fahrt zu kommen und sich auf dem Rad wieder etwas erholen zu können, bevor es an den nächsten Laufabschnitt geht.
Der erste Wechsel
Am alten Flugplatz Bonames/Kalbach treffen wir zum ersten Mal auf das Grüngürteltier – ein Fabelwesen, das der Künstler Robert Gernhardt entworfen hat, und das entlang des Weges immer mal wieder auf Informationstafeln und Wegweisern auftaucht.
Kurz nachdem wir die Nidda erreicht haben, steht bei Kilometer 8 auch schon der erste Wechsel an. Katrin zieht sich trockene Sachen an und trinkt und isst eine Kleinigkeit, während es mich jetzt schon so in den Füßen juckt, dass ich ich einen fliegenden Wechsel mache und schon mal los laufe – immer den gelb-grünen Schildern nach, die den Radweg kennzeichnen und erst vor einigen Monaten erneuert worden sind.
Ich brauche ein paar Minuten, um nach einer dreiviertel Stunde auf dem Rad ins Laufen reinzukommen, doch dann werden die Muskeln langsam locker und ich fliege an der Nidda entlang. Ich spüre ein wohliges Kribbeln im Magen und freue mich darüber, dass wir unsere Idee jetzt wirklich in die Tat umsetzen. Ich kann mir grade gar nichts Schöneres vorstellen, als hier zu sein und zu laufen.
Kurz vor dem Eschersheimer Freibad überholt mich ein Radfahrer mit einem lauten “Jawoll, Team beVegt!” und streckt beide Daumen nach oben. Das gibt mir nochmal einen kleinen Motivationskick und ich lasse es richtig schön rollen. Als ich etwa zwei Kilometer zurückgelegt habe, komme ich an eine kleine Fußgängerbrücke über die Nidda. Mein Instinkt und meine Erinnerung an frühere Grüngürtel-Ausflüge sagt mir, dass ich hier einfach geradeaus weiterlaufen muss, bis ich in Höchst bin.
Aber das nigelnagelneue Fahrradweg-Schild zeigt nach links, in Richtung südliches Niddaufer.
Ein folgenschwerer Fehler
Ich denke ganz kurz darüber nach, auf Katrin zu warten, um die Entscheidung mit ihr zusammen zu treffen – sage mir dann aber, dass die Beschilderung hier ganz eindeutig ist und sie mich sicher gleich einholen wird.
Der Fahrradweg führt nun vom Niddaufer weg, und nach einigen hundert Metern komme ich an eine T-Kreuzung. Hier zeigt zwar ein Schild zurück in Richtung Nidda, aber keines hilft mir bei der Entscheidung, ob ich rechts oder links abbiegen muss. Ich entscheide mich für rechts, um der allgemeinen Richtung des Grüngürtels gegen den Uhrzeigersinn zu folgen.
Und das erweist sich als folgenschwerer Fehler, denn Katrin entscheidet sich hier nur kurze Zeit später aufgrund der fehlenden Beschilderung zum Umkehren und vermutet mich noch etwas weiter voraus auf der “klassischen” Strecke an der Nidda.
Ein weiteres Schild finde ich noch, doch dann macht ein merkwürdig verdrehtes und deshalb mehrdeutiges Schild die Verwirrung komplett. Ich werde unsicher, weil Katrin mich inzwischen eigentlich längst eingesammelt haben müsste, und laufe zurück zur Nidda, warte dort eine Weile in der Hoffnung, dass sie auf der Suche nach mir nochmal hier vorbeikommen würde.
Irgendwann beschließe ich, einfach an der Nidda entlang nach Höchst zu laufen – einen Weg, den wir schon oft gemeinsam mit dem Fahrrad zurückgelegt haben. Ich hoffe, dass Katrin die gleiche Idee haben und mir entweder irgendwann entgegenkommen oder in Höchst auf mich warten würde.
Glück im Unglück
Meine Begeisterung über unser aufregendes Projekt ist inzwischen in Frust und Ärger über unsere Dummheit umgeschlagen: Wieso haben wir uns bloß aus den Augen gelassen? Wieso habe ich beim Wechsel nicht auf Katrin gewartet? Ich habe weder einen Hausschlüssel, noch ein Handy oder gar etwas zu trinken dabei und mache mir langsam ernsthaft Sorgen, dass unser Projekt schon gescheitert ist, bevor es überhaupt richtig angefangen hat.
Nach etwa einer Stunde sehe ich zum ersten Mal wieder die grüngelb leuchtenden Schilder des Grüngürtel-Radwegs, der hier offensichtlich wieder auf die frühere Route entlang der Nidda trifft. Das beruhigt mich etwas, denn es bedeutet, dass auch die neue Route nach Höchst führt. Inzwischen habe ich statt der geplanten 9 Kilometer geschlagene 15 Kilometer auf meiner Uhr stehen – da kommt mir tatsächlich zum allerersten Mal die Idee, dass ich ja einfach einen der zahlreichen Passanten fragen könnte, ob ich mir mal ein Handy ausleihen dürfte, um Katrin anzurufen.
Diese “brilliante” Idee muss ich dann aber nicht mehr in die Tat umsetzen, denn als ich das nächste Mal den Blick hebe, sehe ich Katrin auf mich zufahren. Eine Welle der Erleichterung schwappt durch meinen Körper, und unsere Regel Nummer zwei erweist sich als kluge Maßnahme: Wir machen uns keine Vorwürfe, sondern sind einfach nur froh, dass wir uns wiedergefunden haben und unseren Weg gemeinsam fortsetzen können.
Nachdem wir uns unsere jeweilige Geschichte der vergangenen Stunde erzählt und ich mich an unserer Verpflegung gestärkt habe, beschließen wir noch schnell Regel Nummer Drei: “Wir lassen uns nicht mehr aus den Augen” – und Katrin macht sich auf ihren zweiten Laufabschnitt, der uns nach Höchst, auf der Leunabrücke über den Main und schließlich hinein in den Frankfurter Stadtwald führt.
Auf und Ab
Ab jetzt läuft wirklich alles wie am Schnürchen. Wir genießen das tolle Wetter, unterhalten uns und lassen dann wieder die Gedanken schweifen. So arbeiten wir uns Kilometer für Kilometer durch den Stadtwald, vorbei an Commerzbank Arena und Goetheturm, bis wir schließlich in den Kräuterfeldern bei Oberrad wieder aus dem Schatten der Bäume in die Sonne radeln beziehungsweise laufen.
An der Gerbermühle machen wir wieder eine kurze Pause und ich bereite mich auf meinen dritten Einsatz als Läufer vor. Jetzt geht es über die Deutschherrnbrücke wieder zurück ans nördliche Mainufer und dann vorbei an der EZB, durch den Ostpark in Richtung Riederwald und Seckbach. Mehrmals muss ich meinen Lauf unterbrechen, um das mit zwei Seitentaschen und einem Korb schwer beladene Fahrrad ein paar Treppen hoch und runter zu tragen. Dabei komme ich etwas aus dem Rhythmus und habe ein kurzes Tief, das ich aber mit Hilfe eines klebrig-süßen Clif-Bars schnell überwinden kann.
Kurz vor dem Enkheimer Ried übernimmt Katrin wieder und gemeinsam nehmen wir den einzigen wirklich anstrengenden Anstieg des Grüngürtels am Berger Hang in Angriff. Beim Schieben mache ich mir eine gedankliche Notiz, dass wir uns für für die mehrtägige Fahrradreise, die wir nächstes Jahr unternehmen wollen, eine möglichst flache Strecke aussuchen sollten – denn ich brauche für den knappen Kilometer nach Bergen mit dem Rad deutlich länger als Katrin, die schon mal vorausläuft.
Die Schlussetappe
Wir durchqueren Bergen entlang der Hauptstraße, die zur Radstrecke des Ironman Frankfurt gehört, und erreichen schließlich mit dem Lohrberg den höchsten Punkt unseres heutigen Abenteuers. Als wir noch in Frankfurt wohnten führte hier eine unserer Lieblings-Laufstrecken mit tollem Blick auf die Skyline vorbei, und deshalb schwelgen wir noch kurz in Erinnerungen, bevor wir uns auf die Schlussetappe unserer Grüngürtel-Umrundung machen.
Auf schönen Wegen geht es durch Felder und Wiesen immer leicht bergab, und schließlich erreichen wir bei Berkersheim wieder die Nidda. Ich bin inzwischen wieder laufend unterwegs und spüre doch so langsam, was ich heute geleistet habe. Am Flugplatz klatschen wir uns kurz ab, weil wir den Grüngürtel jetzt einmal komplett abgelaufen sind. Nun liegt nur noch der Heimweg nach Oberursel vor uns.
Im Kätcheslachpark im neuen Frankfurter Stadtteil Riedberg wechseln wir vier Kilometer vor dem Ziel ein letztes Mal die Rollen. Während Katrin sich auf den Weg macht nehme ich mir Zeit und lasse ihr ein bisschen Vorsprung (hier kennen wir uns aus und müssten schon einen Gedächtnisverlust erleiden, um uns nochmal zu verlaufen).
Ein perfekter Tag
Nachdem ich etwas getrunken und noch ein paar Aprikosen gegessen habe schwinge ich mich in den Sattel und lasse den Tag nochmal vor meinem inneren Auge vorbeiziehen. Ich habe heute knapp 42 Kilometer laufend und 37 Kilometer auf dem Rad zurückgelegt. Katrin ist 37 Kilometer gelaufen und deutlich weiter gefahren, weil sie auf der Suche nach mir ein paar zusätzliche Schleifen gedreht hat. Ich bin sehr stolz auf sie, und glücklich, dass wir uns gefunden haben und gemeinsam solche tollen Dinge erleben können.
Ich trete in die Pedale und genieße den Fahrtwind und die Wärme der Sonne, die jetzt schon tief über dem Taunus steht. Das Fahrrad rollt fast wie von allein durch die duftenden Getreidefelder. Zu Hause wartet die Dusche, ein leckeres Essen und ein gemütlicher Abend auf der Couch auf uns.
Was für ein perfekter Tag.
Oli
Klingt total super 🙂
Habt ihr schon mal drüber nachgedacht, einen Grüngürtel-Ultra auszurichten? 😉 Ist vermutlich eine Höllenarbeit. Aber die Strecke klingt wie gemacht dafür.
Daniel Roth
Hey Oli, wir haben das tatsächlich in 2013 und 2014 gemacht – zur Premierenveranstaltung gibt’s sogar einen schönen Bericht von unserem Freund José: http://herzenssachen.blogspot.de/2013/07/jetzt-aber-mein-erster-ultra.html
Das Interesse war aber schon im 2. Jahr nicht mehr so besonders groß, deshalb ist es wieder eingeschlafen.
Vielleicht starten wir irgendwann nochmal einen Versuch. Dann wirst du natürlich davon erfahren 🙂
Oli
Ah ich sehe, sogar mit Verpflegungspunkten 🙂 Und eine offizielle Veranstaltung? Ist vermutlich ne ganz andere Hausnummer…
Daniel Roth
Nee, Laufveranstaltungen organisieren ist nicht unsere Branche – das können andere besser 😉
Simone
Hey Daniel,
das hört sich echt super an! Zu so einer Tour hätte ich auch mal Lust. Eine gute Inspiration…
Daniel Roth
Mach(t) es auf jeden Fall, Simone – es ist so unkompliziert und schön!
MagicMike2311
Das ist uns letztens auf dem Rad auch aufgefallen. Wir sind dann lieber der „alten“ Baummarkierung gefolgt. Komisch! Ist die neue Beschilderung eigentlich privat erfolgt oder städtisch?
War das so, dass bei der 2. Tour die Resonanz geringer war?
Ich warte auch auf Wiederholung. Es waren ganz aussergewöhnliche und unvergessliche Tage
Katrin Schäfer
Hallo Michael,
soweit ich weiß städtisch – zumindest hatte ich im Vorfeld auf der Stadt Frankfurt-Seite davon gelesen.
Ja, insgesamt waren wir im 2. Jahr weniger. Wir hatten es ja auch noch mal für 2015 angedacht, aber da konnten sich damals nur wenige wirklich verbindlich festlegen, und deswegen hatten wir es damals auf Eis gelegt. Wir hatten dann noch mal die Idee, den Oberurseler Randrundweg gemeinsam zu laufen, das wären „nur“ 26 km rund um Orschel, mit der Hoffnung, dass wir mit einer größeren Gruppe wirklich komplett laufen, aber leider haben wir es nicht mehr geschafft, aber vielleicht passt es ja demnächst mal wieder!
Viele Grüße
Katrin
Birgit Köhncke
Super Idee und ein sehr schöner Bericht. Animiert zum nachmachen.