Was du siehst: Den Läufer mit dem merkwürdigen Laufstil.
Was du nicht siehst: Den Willen, mit dem er sich nach einem schweren Unfall wieder ins Leben zurückgekämpft hat.
Was du siehst: Die Walkerin mit starkem Übergewicht.
Was du nicht siehst: Die Überwindung, die es sie gekostet hat, endlich nach draußen zu gehen und zum ersten Mal Sport zu machen.
Was du siehst: Den Mann, der beim Halbmarathon knapp vor dem Besenwagen läuft.
Was du nicht siehst: Dass er vor einem Jahr noch keine 10 Minuten am Stück geschafft hat.
Was du siehst: Die langsame Läuferin, die du gerade überrundest.
Was du nicht siehst: Wie sie in den letzten Monaten mit einer langwierigen Krankheit gekämpft und nie aufgegeben hat.
Was du siehst: Den dicken Jungen, der auf dem Sportplatz von seinen Klassenkameraden abgehängt wird.
Was du nicht siehst: Dass er schon mehr als 10 Kilo abgenommen hat.
Was du siehst: Die Frau, die immer wieder Gehpausen einlegen muss.
Was du nicht siehst: Wie sie von einem Tag auf den anderen mit dem Rauchen aufgehört und sich für einen 10-Kilometer-Lauf angemeldet hat.
Was du siehst: Den arroganten Muskelprotz, der seine Oberarme beim Laufen seltsam hin- und herschwingt.
Was du nicht siehst: Dass er trotz einer Behinderung für seinen Traum von einem muskulösen Körper kämpft.
Was du siehst: Das Pärchen mit den strahlend neuen E-Bikes.
Was du nicht siehst: Dass sie seit Jahren bei Wind und Wetter jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit fahren.
Was du siehst: Deinen Arbeitskollegen, der schon wieder eine unerreichbar schnelle Marathonbestzeit auf Facebook postet.
Was du nicht siehst: Die tausenden Trainingskilometer, die er in den letzten Monaten zurückgelegt hat – früh morgens vor der Arbeit oder abends nach einem langen Tag. Oft im Dunkeln, im Regen, an stürmischen Tagen und bei eisiger Kälte.
Was du siehst: Deine Freundin, die scheinbar jeder süßen Versuchung widerstehen kann.
Was du nicht siehst: Die Disziplin, mit der sie in den vergangenen Jahren ihre Ernährungsgewohnheiten verändert hat.
Jeder Mensch hat eine Geschichte
Lass uns deshalb versuchen, keine vorschnellen Urteile zu fällen (ist faul, lässt sich gehen, schaut bestimmt zu viel fern, ernährt sich ungesund, ist selbst dran schuld, hat gute Gene, viel mehr Geld und Freizeit als ich, bloß Glück gehabt).
Wie wäre es, wenn wir uns stattdessen einfach gegenseitig anfeuern und auf unserem Weg unterstützen?
Kathrin
Schöner Artikel, danke dafür!
Daniel Roth
Schön dass er dir gefällt Kathrin!
Michael Taube
Lieber Daniel,
wenn es so wäre, dann wäre unsere Welt ein Ort voller Frieden und Mitgefühl. Tenzin Gyatso hat einmal gesagt: „Es gibt keinen Weg zum Frieden. Frieden ist der Weg.“ Alles was wir denken, sagen und tun stärken wir in uns und in der Welt. Es ist schon eine Kunst Beobachtungen von Urteilen zu unterscheiden bzw. Urteile in Beobachtungen zu transformieren. Eine Kunst der jeder erlernen kann. Ich kannvon mir sagen das ich sie in 8 Jahren Praxis Gewaltfreier Kommunikation recht gut beherrsche. Ist dir Gewaltfreie Kommunikation ein Begriff?
Vielen Dank für die vielen Beispiele. Ich wünsche dir einen tollen Start in die Woche.
Michael
Daniel Roth
Hallo Michael, den Begriff hatte ich sicher schonmal gehört, aber ich musste jetzt direkt mal nachschauen worum es dabei genau geht 🙂 Spannend! Wie viele Konflikte sich wohl durch bessere Kommunikation aus dem Weg räumen ließen bzw. gar nicht erst entstehen würden?
Vielen Dank für die Anregung!
Michael Taube
Hallo Daniel,
gern geschehen. Ich bin der Meinung das ALLE Konflikte auf der Welt durch GfK gelöst oder verhindert werden könnten, so sehr bin ich von dem Konzept überzeugt. Wenn es nicht funktionieren würde wäre ich nicht schon 8 Jahre dabei geblieben.
Erlebst du in deiner Arbeit um bevegt und für die vegane Sache viele Konflikte?
Daniel Roth
Hallo Michael, leider ja – und das ganze wird noch komplizierter dadurch, dass sich die Kommunikation heutzutage ja größtenteils online abspielt. Kannst du mir eine Einstiegslektüre in das Thema empfehlen?
Christine
Wow, das ist ein super Beitrag! Gefällt mir!!!
Daniel Roth
Das freut mich Christine!
Isa
…und deshalb hat jede_r, der_die entgegen kommt, ein Lächeln oder ni ken verdient 🙂 Danke, für den Artikel!
Daniel Roth
So ist es, Isa 🙂
Markus
!!!
Braucht es mehr?
Eigentlich nicht!
Mit jedem Schritt denn man geht, läuft, rennt oder eben sich nur bewegt hat man mehr getan wie all die die den ganzen Tag nur auf der Couch liegen! Das ist das entscheidende!
Daniel Roth
Absolut! Aber dabei auch die, die nur auf der Couch liegen, nicht vorschnell verurteilen – auch da könnte ja etwas dahinter stecken. Gar nicht so leicht das alles, oder? 😉
Marita
Ihr Lieben,
auch wenn ich mir schon länger angewöhnt habe oder versuche, keine vorschnellen Urteile zu fällen, manchmal ist es doch so, dass es passiert. Der Kopf ist eben oft doch noch schnell dabei, Schubladen zu öffnen … Umso wichtiger, dass man sich immer wieder daran erinnert oder durch einen so schönen Artikel daran erinnert wird.
Darum also: Vielen Dank für den Artikel und den Gedankenanstoß!
Herzliche Grüße
Marita
Daniel Roth
Das geht mir genauso Marita, wir sind scheinbar so gepolt, dass wir uns für alles eine Erklärung zurechtlegen müssen – auch wenn uns entscheidende Informationen dafür fehlen.
Die Hauptsache ist aber, dass wir immer weiter an uns arbeiten.
Liebe Grüße!
Corinna
Vielen, vielen Dank für den Anstoß! Ich glaube gerne an das Gute in uns, auch wenn ich mich an die eigene Nase fassen muss.
Daniel Roth
Ich bin auch lieber Optimist als Pessimist Corinna! 🙂
Robert
Toll Daniel!
Sehr schön geschrieben und natürlich absolut richtig.
Leider ertappt man sich auch immer wieder selbst dabei, voreilig Urteile zu fällen. Obwohl wenn man sich eigentlich für bewusst und tolerant hält.
Selbstreflexion ist eben wichtig.
Danke für die Erinnerung und viele Grüße
Robert
Daniel Roth
Gern geschehen Robert!
Birgit
Dieser Artikel ist wieder einmal mehr ein Beweis dafür, daß es sich lohnt in dieser Gruppe zu sein, selbst als Nicht-Veganer/in.
Danke für eure vielen positiven Denkanstöße und Inspirationen in vielerlei Hinsicht.
Daniel Roth
Das freut mich sehr Birgit – schön dass du bei uns mitliest!
Magdalena
So ein schöner und weiser Beitrag! Auch ich möchte für deine / euren Denanstöße DANKE sagen und werde mich mehr „an der Nase“ nehmen.
Alles Liebe, Magdalena
Daniel Roth
Danke für das Lob Magdalena!
Annika
Super. Danke für diesen Beitrag! Schön, dass mal jemand „aus der Szene“ so etwas postet. Auf Instagram und Co. sehe ich so oft nur Gejammer über verpasste Bestzeiten oder ein Foto vom neuesten Lauffummel in Größe 34 … Laufen ist viel mehr und für viele Menschen eine riesengroße Herausforderung, der sie sich trotzdem stellen. Schön, dass ihr darauf aufmerksam macht.
Claudia Durasiewicz
Lieber Daniel,
Vielen Dank für diesen Beitrag! Es ist schön, mal wieder etwas zu lesen, das zum Nachdenken anregt. Und das einem wieder das Ziel vor Augen führt, nach einer Art Maxime „weniger Leid und mehr Gutherzigkeit für eine bessere Welt“ zu leben!
Ich habe diesen Artikel aus beiden Perspektiven gelesen: einerseits überkam mich das dringende Gefühl, bewusster eventuelle vorschnelle Urteile zu hinterfragen und den Mitmenschen unvoreingenommen entgegenzutreten. Ich denke mir immer, dass das „Schubladendenken“ den Menschen zu früheren Zeiten geholfen hat, Gefahren in Sekundenschnelle zu erkennen und somit überlebenswichtig war. Heutzutage liegt es an uns, in der zivilisierten Gesellschaft Vorurteile zu beseitigen.
Doch ich konnte mich auch in einigen Beispielen wiedererkennen: beispielsweise in der Freundin, die mit scheinbarer Leichtigkeit jeder Versuchung widersteht. Aus der Perspektive der Personen, die unter dem vorschnellen Urteil eines Mitmenschen stehen: Wie damit umgehen? Nicht jede/r ist einsichtig, wenn man sie/ihn damit konfrontiert, dass ein voreilig gefällte Kommentar zu Unrecht abgegeben wurde. Und eine solche Konfrontation, wie behutsam man sie auch selbst angehen mag, kann einen mit Wut im Bauch zurücklassen, wenn sie erfolglos bleibt. Welchen Weg also gehen, wenn man selbst „nicht gesehen“ wird?
Claudi
Floh & Miinee
Ganz tolle Worte. Sehr schön.
Viele Grüße und Frohe Ostern
Din
Ich habe eine Weile überlegt, was ich zu diesem Beitrag kommentieren kann. Ich wollte gern etwas hier lassen, weil er mir so sehr gefällt. Deshalb eine kleine Geschichte, die ich erst im Winter erlebt habe. Ich unterhielt mich mit einer Schülern beim Yoga, die überlegte, ob sie eine Ausbildung zur Yogalehrerin machen sollte. Ich fragte, warum sie es nicht mache, wenn sie offensichtlich so viel Freude daran hat und das auch mit anderen teilen möchte. Ihre Antwort war kurz, einfach und sehr schockierend. Sie traute sich nicht, weil sie glaubte, sie wäre nicht gut genug. Nicht gut genug im Sonne von, sie kann die Asanas nicht. Sondern nicht gut genug, weil sie ihrer Meinung nach nicht in das Bild einer Yogalehrerin passte. Ich wusste nicht, ob ich weinen sollte oder nicht. Mir fehlten die Worte und ich wollte einfach wissen, wo sie bitte diese Idee her hatte. Sie ist ein so herzensguter Mensch und die Wärme kann sie sicher beim Yoga wunderbar weitergeben. Man gab ihr in der Vergangenheit das Gefühl, dass sie einfach zu dick sei für den Job. Dass sie nicht gut genug aussehen würden und und und… Ich habe das schon so oft erlebt, dass Menschen sich nicht trauen, etwas zu machen, woran sie Freude habe, dass sie glücklich macht. Zum Beispiel auch beim Laufen oder Triathlon. Es wird gelästert, gelacht,… Wir sind sicher alle nicht davon frei, vorschnell Urteile zu fällen und ich hoffe, dass jeder von uns mehr Rücksicht nimmt und seinem Gegenüber offen gegenüber tritt.
Daniel Roth
Danke für das gute – bzw. traurige – Beispiel Nadin. Die Perspektive des „Vorverurteilten“ hatte ich bei Schreiben gar nicht eingenommen. Vielleicht kann das uns helfen, uns mit vorschnellen Urteilen mehr zurückzuhalten – denn wahrscheinlich spürt man sowas als Betroffener auch dann, wenn es gar nicht laut ausgesprochen wurde.
Silvia
Vielen Dank für den schönen Beitrag! <3
Simon
Auch von mir ein Danke für die tolle Erinnerung – Gerade richtig vor dem Cube of Truth gleich 🙂
Maya Crameri
Danke für den tollen Beitrag, der mir so sehr aus dem Herzen spricht! Als Kind wurde ich wegen meiner dünnen, starken X-Beinen so oft gehänselt (von anderen Kindern wie auch von Lehrern!😪), dass ich Jahrzehnte lang keinen Schritt gelaufen war. Ich hatte eine richtige Laufphobie. Dann kam der Tag im Sommer 2013, an dem ich einfach so, total spontan, meine damals 15-jährige Tochter auf ihrer Joggingrunde über 2 km begleitete, um die Süsse bei ihrem Vorhaben, ein paar überflüssige Pfunde loszuwerden, zu unterstützen. Nach diesen ersten 2 km kam die Wende. Irgendwie packte ausgerechnet mich das Lauffieber. Mich, die doch nie im Leben freiwillig gelaufen war, aus Angst, wieder ausgelacht zu werden. Aber es kommt noch besser. Im Dezember 2023 lief ich, angespornt von guten Freunden, zusammen mit meinem Mann den Zürcher Silvesterlauf! Vor hunderten von Zuschauern, die mich alle, wenn sie denn gewollt hätten, hätten auslachen können. Natürlich wusste von den Zuschauern keiner, wieviel Überwindung es mich gekostet hatte, in aller Öffentlichkeit zu laufen. Aber keiner lachte, ich wurde sogar mehrfach angespornt! 🏃🏻♀️🏃🏻♀️ Nach der Ziellinie fiel ich meinem Mann weinend vor Stolz und Erlösung in die Arme. 😊😊Dieser Lauf war für mich wie ein Coming Out. Ich bin jetzt 52, und habe in den letzten 5 Jahren pro Jahr so 5 – 6 Läufe absolviert, darunter 4 Halbmarathons (davon 1 Berglauf), 3 x 25 km (Engadiner Sommerlauf) und 4 Marathons, darunter der NYC Marathon. Und immer hab ich meinen krummen, dünnen Beinen im Ziel dafür gedankt, dass sie mich zuverlässig und ohne zu murren über die Strecke getragen hatten! 😊🏃🏻♀️💕
Danke fürs Lesen! Hat echt gut getan, das mal alles aufzuschreiben! 🙏🏽👍🏼😊
Katrin Schäfer
Hallo Maya,
oh wie stark, deine Geschichte kann wir noch gar nicht, echt super! Du kannst sehr stolz auf dich sein!
Wir hoffen, dass du noch ganz lange laufen wirst und Spaß dabei hast!
Viele Grüße
Katrin