Es gibt so ein paar Themen, über die man einfach nicht gerne spricht. Zum Beispiel unsere Verdauung – und alles, was dazu gehört.
In den meisten Situationen ist das auch gut so, denn Blähungen und die Erfahrungen beim letzten Toilettenbesuch eignen sich nicht so wirklich als Gesprächsstoff für die Mittagspause mit den Kollegen.
Das Tabu bezüglich unserer Verdauung kann aber auch zum Problem werden. Zum Beispiel wenn du unter chronischen Blähungen leidest und dir das so unangenehm ist, dass du dich nicht dazu überwinden kannst, dir Hilfe zu suchen.
Jan von semperveganis hat selbst eine lange Leidensgeschichte mit seiner Verdauung hinter sich. Vor einiger Zeit hat er im Selbstverlag ein Buch mit dem Titel Das Pups-Tabu* darüber geschrieben, das jetzt in einer komplett überarbeiteten Neuauflage im Heyne Verlag erschienen ist. Darin erzählt Jan seine Geschichte erzählt und verrät, was ihm auf dem Weg zu einer optimalen Verdauung geholfen hat – und was nicht.
Im beVegt-Interview spricht er über sein Buch und erklärt, warum er es für wichtig hält, das „Pups-Tabu“ zu überwinden.
„Mein Buch ist aus der Not heraus entstanden.“
beVegt: Du hast dein Buch „Das Pups-Tabu“ genannt – wieso hast du dich gerade für diesen Titel entschieden?
Jan: Der Titel ist Programm. Tabus – und dazu gehören auch Körpertabus wie Blähungen – prägen die menschliche Kommunikation. Ich möchte bereits mit dem Titel dafür sensibilisieren, welche teils harmlosen Dinge wir tabuisieren, ehe es im Buch weiter ins Detail geht. Dabei fasziniert mich, dass Tabus nichts Statisches sind und keine Allgemeingültigkeit besitzen.
So sind heute Dinge tabu, die es früher nicht waren – dazu zählen auch Körperfunktionen. Der moderne Mensch möchte seine tierischen Wurzeln möglichst hinter verschlossenen Türen, Duftsprays und Parfümwolken verstecken. Für Naturvölker hingegen ist der Umgang mit dem eigenen Körper fernab von Scham und Tabu eher normal. Außerdem sind Tabus abhängig vom Geschlecht (Männer reden eher über Blähungen als Frauen), von Alter und Sozialisation, von Herkunft, Glaube und Gesellschaft.
Und sicher, Tabus haben ihre Berechtigung, sie schützen und wahren den Status Quo. Auch ich will nicht in einer völlig tabufreien Welt leben. Aber es gibt auch Tabus, die gebrochen werden müssen, weil sie Menschen, die an etwas tabuisiertem leiden, isolieren und schaden. Dazu zählen eben auch Blähungen, denn daran leiden viel mehr Menschen, als man glaubt.
beVegt: Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, ein Buch zum Thema Verdauung bzw. Verdauungsprobleme zu schreiben?
Jan: Das Buch entstand aus der Not heraus. Etwa zwei Jahre lang litt ich unter heftigsten, kaum kontrollierbaren Blähungen, die mir wortwörtlich die Lust am Leben raubten. Im Nachhinein und von außen betrachtet klingt das übertrieben, doch es war so. Jeder, dem es ähnlich geht, weiß genau, wovon ich spreche.
Während dieser „Blähbauch-Odyssee“ besuchte ich verschiedene Ärzte, probierte unzählige Therapieansätze, experimentiere mit meiner Ernährung – doch nichts half. Ich war verzweifelt. Auf der Suche nach einem Ratgeber fand ich schlichtweg nichts, und die Ärzte und Heilpraktiker, die ich bis dato aufgesucht hatte, wussten auch nicht weiter. So wurde ich schließlich mit der Diagnose „Reizdarm“ nach Hause geschickt. Ich fühlte mich abgespeist und alleine gelassen.
Nachdem ich schließlich über Umwege, viel Ausprobieren und nächtelange Recherchen meine Verdauungsprobleme in den Griff bekommen hatte, stand für mich fest, dass ich ein Buch darüber schreiben wollte. Ich habe nun das Buch geschrieben, das ich mir während meiner Beschwerden gewünscht hätte, es aber leider nicht gab. Und ich hoffe, dass ich damit einen kleinen Beitrag dazu leiste, Menschen zu helfen.
beVegt: Du hast 2015 bereits ein Buch mit dem gleichen Titel rausgebracht. Worin unterscheidet sich die aktuelle Veröffentlichung und was war der Grund für die Neuauflage?
Jan: Korrekt, es gab 2015 bereits ein „Pups-Tabu“, damals noch als Selfpublishing-Ausgabe. Es gibt zwei wesentliche Unterschiede. Erstens, die aktuelle Auflage erscheint im Heyne-Verlag und zweitens, habe ich das Buch komplett neu geschrieben und erweitert, kein Satz wurde übernommen.
Die Gründe dafür sind vielfältig. In erster Linie hatte ich in der Zwischenzeit durch mein Studium der Ökotrophologie viel dazu gelernt, was ich zum Zeitpunkt der ersten Veröffentlichung schlichtweg noch nicht wusste. Zudem durfte ich im Zuge der Recherche mit hochkarätigen Experten verschiedener Disziplinen sprechen – darunter der Tabuforscher Prof. Dr. Hartmut Schröder – und konnte viel mehr Hintergrundwissen über Tabus einfließen lassen. Außerdem habe ich mehr wissenschaftliche Aspekte verarbeitet, Rezepte hinzugenommen und dem Zusammenhang von Psychologie und Verdauung mehr Aufmerksamkeit geschenkt.
„15 bis 25 Pupse pro Tag werden als normal bezeichnet.“
beVegt: Du nimmst kein Blatt vor den Mund, wenn du deine eigene Geschichte schilderst. Warum ist es deiner Meinung nach wichtig, offen an das Thema ranzugehen?
Jan: Jeder Mensch pupst – ganz egal, wie alt, dick, dünn, ob Berühmtheit oder Kellerkind. Deshalb ist es mir wichtig, offen über Blähungen zu sprechen. Ich wollte keinen staubtrockenen Ratgeber schreiben, so distanziert und realitätsfern wie ein Lehrbuch. Leser und Leserinnen sollen sich verstanden fühlen und einsehen, dass uns kein Tabu davon abhalten darf, Hilfe zu suchen, wenn Hilfe gefragt ist – in jeder Lebenslage.
beVegt: Welche verschiedenen Ursachen kommen denn überhaupt in Frage, wenn man unter Verdauungsproblemen oder Blähungen leidet?
Jan: Hier würde ich gerne „normal“ und „abnormal“ unterscheiden. Zu normalen Verdauungsphänomenen zählen Blähungen (15–25 Pupse pro Tag werden in der Literatur als normal bezeichnet), Stuhlgang, Aufstoßen etc. „Abnormale“ Phänomene sind z.B. Durchfälle, exzessive Blähungen und saures Aufstoßen.
Man sieht: Was in gewissem Rahmen normal ist, kann unter Umständen zum Problem werden. Übersteigt z.B. das Gasvolumen ein normales Ausmaß, wird es unangenehm. Erst dann nimmt man Blähungen richtig war. Funktioniert hingegen alles reibungslos, bemerken wir die 15–25 Pupse pro Tag oft gar nicht wirklich.
Von Allergien und Unverträglichkeiten über schwerwiegende Erkrankungen wie Darmkrebs, bis hin zu ernährungsbedingten Beschwerden kommen eine Menge Ursachen für Verdauungsprobleme in Frage. Vor allem die Kombination verschiedener Symptome – sagen wir Blähungen, Durchfälle, Kopfschmerzen und Kraftlosigkeit – deutet auf schwerwiegendere Erkrankungen hin und sollten untersucht werden. Leidet man „nur“ an Blähungen, liegt das Problem in den meisten Fällen in den eigenen Essgewohnheiten. Und die lassen sich schnell, günstig und effektiv anpassen.
Tipps gegen Blähungen
beVegt: Es kommt ja immer wieder mal vor, dass Vegan-Neulinge unter Blähungen leiden, wenn sie plötzlich viel mehr (rohes) Obst und Gemüse, Hülsenfrüchte und Getreide essen als vorher. Hast du Tipps speziell für Leute, die auf vegan umstellen und den Gemüse- und Rohkostanteil in ihrer Ernährung erhöhen?
Jan: Da habt ihr recht! Meist – ich war keine Ausnahme – war der Ballaststoffanteil der Ernährung vieler Menschen vor der Umstellung auf vegan deutlich geringer als mit pflanzlicher Kost. Doch was hat das jetzt mit Verdauungsproblemen zu tun, schließlich sind doch Ballaststoffe so gesund?
Dazu müssen wir uns kurz anschauen wie Blähungen entstehen. Es gibt zwei Hauptgründe für Gase im Verdauungstrakt: Verschluckte Luft (Aerophagie) und Aktivität unserer Darmflora. Ersteres hat mit der veganen Ernährung wenig zu tun, höchstens indirekt durch eine erhöhte Flüssigkeitszufuhr. Doch der zweite Grund, die Aktivität unserer Darmflora, wird durch mehr Ballaststoffe in der Ernährung getriggert.
Doch jetzt kommt die gute Nachricht: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Und so gewöhnt sich unser Körper mit der Zeit an mehr Ballaststoffe. Im Buch stelle ich eine interessante Studie dazu genauer vor, in der die zusätzliche Gabe von verschiedenen Bohnensorten und deren Auswirkungen untersucht werden. Das Ergebnis: Im Vergleich zur Kontrollgruppe pupst die „Bohnen-Gruppe“ zwar häufiger, aber erstens weniger signifikant als erwartet und zweitens lässt der Effekt mit der Zeit nach. Die Schlussfolgerung: Regelmäßig ausreichend viele Ballaststoffe (z.B. Hülsenfrüchte) essen und auf den Gewöhnungseffekt warten – der tritt übrigens schon nach wenigen Wochen regelmäßigen Konsums ein.
Daneben gibt es noch viele weitere Tipps: Clever würzen mit Cumin und Co., Ernährungstagebuch führen, an der Atmung feilen, bestimmte Lebensmittel wie Kohlgemüse vorübergehend meiden und mehr. Die effektivsten Tipps, sozusagen die Basis einer Verdauung mit normaler Gasbildung, habe ich Low FART Diet getauft und im Buch detailliert beschrieben. Daneben gibt es noch Lifestyle-Aspekte wie ausreichend Schlaf, wenig Stress und Bewegung, die ebenfalls einen Beitrag zu einer geregelten Verdauung leisten. Extras sind meist teure Produkte wie Nahrungsergänzungsmittel, die zwar helfen können, aber nichts bringen, solange die Basis nicht stimmt.
beVegt: Wenn du heute nochmal in der Situation wärst, unter Verdauungsproblemen zu leiden, wie würdest du dann vorgehen?
Jan: Ich würde sofort anfangen ein Ernährungstagebuch zu führen. Erst damit war es möglich, wirklich zu erkennen, welche Lebensmittel neben den üblichen Verdächtigen bei mir zu Blähungen führten. Deshalb habe ich dem Ernährungstagebuch auch ein Kapitel in meinem Buch gewidmet, samt Vorlage und genauer Erklärung. Es ist essenziell, um die Rebellen ausfindig zu machen, die die Verdauung stören.
Das Pups-Tabu: Jans Guide zur optimalen Verdauung
Wenn du selbst unter Verdauungsproblemen leidest (egal ob regelmäßig oder nur gelegentlich), dann können wir dir Jans Buch „Das Pups-Tabu“ sehr ans Herz legen. Es ist nicht nur ausgesprochen unterhaltsam, weil Jan wirklich kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn er seine eigene Leidensgeschichte schildert – sondern auch vollgepackt mit praktischen Tipps für eine optimale Verdauung.
„Das Pups-Tabu“ ist als Taschen- und E-Book im Heyne-Verlag erschienen: Klicke hier für mehr Infos zum Buch*
Jan und seine Freundin Laura verstehen als angehende Oecotrophologen, wovon sie sprechen. Sie sind kritisch und und sie hinterfragen die aktuellen Ernährungs- und Gesundheitstrends, anstatt ihnen blind zu folgen. Wir finden, dass sie eine tolle Arbeit machen.
Jan
Vielen Dank für die tolle Gelegenheit euch ein Interview geben zu dürfen. Ihr seid echt tolle Menschen!
Liebe Grüße
Jan
Daniel Roth
Danke an dich, dass du dir die Zeit für uns genommen hast!
Mellchen
Vielen Dank für das tolle und „spannende“ Pups-Tabu-Thema! Ich habe mir das e-Book bereits heruntergeladen und ein bisschen quer gelesen! Super erfrischend geschrieben! Herrlich! Freu mich darauf, es genau zu studieren. Jan und Lauras youtoube Videos habe ich ebenfalls angesehen! @ Laura und Jan: Klasse, wie natürlich und entspannt ihr über dieses psssst-Thema berichtet!!!!
Anfang diesen Jahres bin ich wegen massiver unbestimmbarer Beschwerden ins Krankenhaus gekommen…letztlich wurde der Darm komplett durch gecheckt und sämtliche Intoleranzen und Unverträglichkeiten getestet: Nix! Mittlerweile habe ich die Lage dennoch im erträglichem Griff, mit einigen Ausreißern! Die erinnern mich dann immer wieder daran „aufzupassen“ und ich bin dann jedesmal wieder beeindruckt, wie sehr man durch diese Beschwerden lahm gelegt werden kann.
@Katrin und Daniel: Ich freue mich riesig, dass Ihr diesesüber Interview geführt habt und über dass ihr auf Jans und Lauras Seite hingewiesen habt!
(Auf jeden Fall werde ich die Bentonit und Flohsamen-Darmsanierung unterstützend ausprobieren!)
Ein wichtiges, aber leider oft „verheimlichtes“ Thema!!! Dankeschön fürs publizieren!
Jan
Schön, dass dir mein Buch bisher schon gefällt und dich auch unsere Videos ansprechen. Herzlichen Dank für den lieben Kommentar 🙂
Liebe Grüße
Jan
Nikolai Weidner
Respekt für deine ehrliche und offene Herangehensweise. Denke damit tust du vielen einen gefallen, wenn du deine Tipps und Erfahrungen gebündelt weiter gibst 🙂
Wusste bis gerade garnichts von deinem Buch -> wird gleich mal genaue angeschaut.
Lg Nikolai Weidner
Martin Kamma, Arzt für Allgemeinmedizin
In meiner Praxis betreue ich als veganer Arzt auch zunehmend viele vegane Patienten. Ein wichtiger Schritt ist, das Problem beim Namen zu nennen! Als häufigste Ursache für Verdauungsstörungen mit oder ohne Blähungen finde ich bei Veganern eine Weizenunverträglichkeit. Weizen konsequent durch Dinkel zu ersetzen bei Brot, süßen Gebäcken und Pasta(!) zeigt oft schnell deutliche Besserung. Zuviel Weißmehl und vegane Süßigkeiten verstärken oft Verdauungsstörungen, weil sie das Wachstum von Hefepilzen im Darm förden. Beeinträchtigt werden dadurch meistens die Lactobazillen und Enterokokkenstämme, die dann der Unterstützung bedürfen. Nach wie vor ist es schwierig Ärzte und Heilpraktiker zu finden, die vegane Lebensweise unterstützen. Auf vebu.de findet ihr ein Verzeichnis veggiefreundlicher Heilpraktiker und Ärzte in eurer Nähe. Weiterhin viel Motivation und Erfolg für euch!
Martin Kamma
Ann
Das mit dem Gewöhungsfaktor kann ich nur bestätigen. Im Urlaub is(s)t man ja oft nicht sooo konsequent viel Rohkost wie zu Hause (ich jedenfalls…). Darum brauche ich danach auch immer ca. eine Woche bis ich mich wieder ganz dran gewöhnt habe. Die Idee zu dem Buch finde ich super. Denn wir entfremden uns echt immer mehr von normalen Körperfunktionen.
Jan
Hallo Ann,
schön, dass die Idee des Buchs Anklang bei dir findet! Danke für den Kommentar 🙂
Horst
Ich verstehe gar nicht, warum die Leute hier so Hemmungen haben.
Es ist doch natürlich, dass jeder auf Toilette muss und manche auch Probleme haben und der Darm saniert werden muss.
Jan
Darum geht es ja – Tabus. Bei uns ist das Thema (leider) noch tabubehaftet und Menschen, die Probleme damit haben, schämen sich dann dafür, so wie es auch bei mir war. Trotzdem hast du recht: Es ist völlig normal, jede Körperfunktion ist normal.
Liebe Grüße
Jan
Illin
Hallo! Finde ich klasse, dass es so ein Buch gibt! Der Gewöhnungseffekt stellt sich noch nicht so ein – nach einem Jahr vegan. Was mir so vor ein paar Monaten bewusst wurde, als ich den lila-podcast hörte, ist, dass Blähungen (und Durchfall) auch zum PMS gehören können. Eine der Podcasterinnen erzählte, dass vor ihren Tagen ihr Bauch raussteht und sie viel Pupsen muss. Da ist mir aufgefallen: ja, auch bei mir ist das eine Woche vorher stärker. Um hier mal noch ein Tabu zu brechen ;). Vielleicht schreiben Sie ja auch darüber in Ihrem Buch. Leider kann ich mir momentan nicht jedes Buch leisten, dass ich gern lesen würde. Gibt´s Ihres auch in Bibliotheken?
Jan
Hallo,
tatsächlich haben mir das nach der Veröffentlichung bereits einige Leserinnen geschrieben. Wissenschaftlich herleiten konnte ich das allerdings noch nicht, aber das muss ja auch nicht immer sein. Ich finde es auf jeden Fall sehr spannend und wüsste selbst gerne, woran das liegt.
Das Buch gibt es soweit ich weiß (noch) nicht in Bibliotheken. Aber gerne können Sie in der Bib Ihrer Wahl mal nachfragen, vielleicht bestellen sie es ja dann beim Verlag!
Herzliche Grüße
Jan Rein