Wenn du dich schon etwas näher mit der Theorie und Praxis des Lauftrainings beschäftigt hast, dann weißt du, dass ein guter Trainingsplan neben Belastungswochen auch regelmäßige „Regenerationswochen“ beinhalten sollte.
In einer Regenerationswoche wird der Trainingsumfang deutlich zurückgefahren. Der Körper soll sich in dieser Zeit erholen und neue Kraft für die nächsten, anstrengenden Trainingseinheiten sammeln.
Klingt eigentlich vernünftig, oder?
Und trotzdem tun wir uns häufig schwer mit der Vorstellung, dass wir auch mal kürzer treten müssen, um besser zu werden. „Ist es nicht gerade andersherum?“ fragen wir uns. „Werden wir nicht nur dann besser, wenn wir uns anstrengen, mehr und härter trainieren, immer wieder an unsere Grenze gehen und darüber hinaus?“
Immer am Limit
Es wundert mich ehrlich gesagt überhaupt nicht, dass wir so denken. Wir werden ja zu einem großen Teil von der Gesellschaft geformt, in der wir leben. Und unsere Gesellschaft stellt nun mal Erfolg und sozialen Aufstieg über alles andere, und erklärt uns auch gleich, wie wir beides erreichen: immer alles geben, immer mehr tun als die anderen, niemals nachlassen, damit uns der Kollege (oder die Kollegin) nicht die Beförderung vor der Nase wegschnappt.
Natürlich ist die Leistungsmentalität bei uns noch nicht ganz so extrem wie zum Beispiel in Japan, wo man aktuell darüber diskutiert, die Arbeitnehmer per Gesetz dazu zu zwingen, wenigstens 5 Tage bezahlten Urlaub pro Jahr zu nehmen. (In Japan gibt es sogar ein Wort für den „Tod durch Überarbeitung“).
Aber auch bei uns gibt es immer mehr Menschen, die an Burn-Out oder chronischer Erschöpfung leiden. Und das ist in meinen Augen Beweis genug dafür, dass wir eben nicht immer besser werden, wenn wir immer am Limit arbeiten, trainieren und leben.
Die Natur gibt den Rhythmus vor
Wir sind ein Teil der Natur, und in der Natur spielen Zyklen, Rhythmen und Kreisläufe eine wichtige Rolle: Tag und Nacht, Ebbe und Flut, Frühling, Sommer, Herbst und Winter, Schlaf und Wachsein, Aktivität und Ruhe, Blühen und Verwelken, Leben und Tod und dann wieder neues Leben. Und noch hunderte, wenn nicht tausende mehr.
Diese Rhythmen gehören zu unserem Leben und sind fest in unseren Körper einprogrammiert. Selbst wenn wir es wollten, könnten wir uns nicht über sie hinwegsetzen: Wir können den Schlaf hinauszögern, aber irgendwann kommt unweigerlich der Moment, an dem uns die Müdigkeit überwältigt und wir die Augen schließen müssen.
Trotzdem scheinen wir genau das immer wieder zu versuchen. Wir konzentrieren uns auf die „Hochphasen“ dieser natürlichen Rhythmen: Aktivität, Anstrengung, Anspannung, Bewegung. Weil unser Umfeld, unser Arbeitgeber, die Gesellschaft das von uns erwartet. Und wir vernachlässigen ihre Gegenpole: Passivität, Erholung, Entspannung, Ruhe.
Erholung, Ruhe und Schlaf sind nichts Verwerfliches …
Und wenn wir dann doch einmal richtig lang ausschlafen oder einen Nachmittag faul auf der Couch verbringen, dann haben wir oft sogar ein schlechtes Gewissen deswegen – weil Passivität in der Leistungsgesellschaft keinen guten Ruf hat. Ich nehme mich da selbst nicht aus: Ich ertappe mich oft mit einem schlechten Gewissen, nachdem ich ein paar Stunden lang Youtube-Videos angeschaut oder mit einem Buch auf der Couch gelegen habe.
In Wirklichkeit machen wir uns aber etwas vor, wenn wir glauben, dass sich die Natur so einfach austricksen lässt. Vielleicht können wir kurzfristig mehr Arbeit erledigen und den Chef beeindrucken, oder in Rekordzeit ein paar imposante Muskelberge aufbauen – aber langfristig brennen wir dabei aus, verletzen uns, werden krank, und müssen oft wieder bei Null anfangen.
Wir können unser Potenzial viel besser ausschöpfen, wenn wir uns stattdessen den Rhythmen des Lebens hingeben. Wenn wir akzeptieren, dass wir nicht immer am Limit funktionieren können, und dass Erholung, Ruhe und Schlaf nichts Verwerfliches sind – und erst recht keine verlorene Zeit.
Ich kann dich nur bestätigen, bin momentan krank und es fällt mir echt schwer, komplett auszusetzen. Werde mich also anmelden, um für die Zukunft zu lernen, meinen Körper gesund fit zu erhalten.
Hey Conny, das freut mich sehr und ich hoffe, dass dir der Monat viele Denkanstöße bringt! Und natürlich wünsche ich dir, dass du schnell wieder auf die Beine kommst!
Hallo Daniel,
danke für diesen Artikel, das hast du schön beschrieben. Mir geht es da ähnlich wie dir, sobald ich mal ein paar Stunden gelesen oder mich „nur“ mit unseren Katern beschäftigt habe, kommt da ein Anflug von ungutem Gefühl, in dieser Zeit nichts „richtiges“ gemacht zu haben. Aber ich versuche, darin besser zu werden und ich gewöhne mich daran, gönne es mir so langsam. Mein größeres Problem ist der Schlaf, gepaart mit abendlicher Entspannung, das kommt unter der Woche oft zu kurz. Daran werde ich im beVegungs-Programm diesen Monat arbeiten.
Ja, die Theorie und Praxis, wie so oft klaffen sie leider auseinander. Mir ist das auch alles vollkommen bewusst und trotzdem schiebe ich mehr und mehr meinen Schlafgehzeitpunkt hinaus, weil ich den Tag doch noch nicht abschließen will. Es muss ja noch was produktives passieren. Ich weiß auch gar nicht, ob das ein Problem allein der heutigen Zeit ist oder auch mit dem älter werden zusammenhängt, wenn man nicht nur der Gesellschaft gegenüber etwas vorweisen muss, sondern auch sich selbst prüft, was hat sich in den letzten Jahren getan? Eigentlich nicht viel. Soll das so weiter gehen? Verdödel ich mein Leben?
Neulich hat einer der ganz selten getrunkenen Kaffees dabei geholfen, „mehr“ aus dem Tag herauszuquetschen, tja, die „gewonnenen“ 2 Stunden hab ich in den nächsten Tagen dann locker doppelt durch Unproduktivität wegen Müdigkeit zurück geben dürfen.
Zum natürlichen Rhythmus würde ich vorschlagen, dass alle Menschen nur bei vorhandenem Tageslicht arbeiten sollten , also im Winter entsprechend kürzer, dafür dann mehr Winterschlaf halten 😉
Dieses Gefühl kenn ich noch sehr gut aus meiner Angestelltenzeit: „Verdammt, wenn ich jetzt ins Bett gehe, dann ist das nächste was passiert, dass ich aufwache und der nächste Arbeitstag startet. Ich MUSS noch irgendwas für mich tun, das letzte aus diesem Tag rausquetschen!“ Und dann hat es doch bloß nur noch zu ein paar Youtube-Videos oder Facebook-Timeline-Scrollen gereicht 😉
Das ist heute definitiv anders, aber ich hab trotzdem noch immer ein Problem damit, mich ohne ungutes Gefühl einfach mal zu entspannen. Der Witz bleibt: Stattdessen verplempert man dann Stunden beim „nutzlosen“ Surfen vor dem PC, weil der PC nunmal der Ort der Produktivität ist. Aber genau da fängt der Denkfehler ja schon an: Sind das wirklich „nutzlos“ vergeudete Stunden? Oder ist dieses „nutzlose Surfen“ eben ein zwingend notwendiger Teil unseres Lebens?
Es gibt noch viel zu lernen 🙂
Schön, dass du auch an ruhigen Seiten des Lebens erinnerst. 🙂 Ich stimme dir vollkommen zu und finde, dass man dieses Prinzip auch auf andere Teile des Lebens anwenden kann: Ich spiele zum Beispiel Klavier. Und durch das Studium habe ich nicht mehr so viel Zeit, so viel zu spielen, wie ich eigentlich möchte. Aber jetzt in den Semesterferien spiele ich wieder regelmäßig und merke, dass ich in einigen Stücken sogar besser geworden bin, weil ich eine kleine (wenn auch unfreiwillige) Pause gemacht habe! Das motiviert einen natürlich und dann kann man mit noch mehr Elan weiter machen!
Liebe Grüße, Louisa
Hey Louisa, ich hab früher viel Gitarre gespielt. Und jetzt wo du das schreibst erinnere ich mich wieder daran, dass ich genau die gleiche Erfahrung gemacht habe: Wenn ich mir stundenlang an einem schwierigen Stück die Finger verknotet habe und es dann nach ein, zwei Tagen nochmal versucht habe, ging es auf einmal viel besser!
Ich glaube schon, dass das ein universelles Prinzip des „Lernens“ ist: Der Körper/Kopf braucht Phasen, in denen er die Übung verarbeiten und „einprogrammieren“ kann – egal ob es jetzt um körperliches Training oder um eine motorische/kognitive Sache wie das Musizieren geht. Also wieder Zyklen: Angestrengtes Trainieren/Üben auf der einen Seite und eine Ruhephase auf der anderen Seite, in der der Körper den Rest erledigt 🙂
Recht habt ihr! Mir kommt dieses Zitat wie gerufen:
Wir überfordern uns ständig,
wenn wir dauernd in Blüte stehen
und gleichzeitig Früchte tragen wollen.
© Walter Ludin
Sehr schönes Zitat Blanca, vielen Dank!
Hallo Daniel,
wichtiges Thema, dass ihr da aufgreift.
Bezogen auf das Lauftraining ist natürlich nicht nur die Trainingszeit sondern auch die restlichen ca. 23h des Tages für die Entwicklung wichtig.
Wirkliche Regenerationswochen (im Sinne von reduziertem Trainingsumfang und -intensität) sind aber für die meisten Freizeitläufer, meiner Meinung nach, nicht notwendig.
Soll nicht abwertend klingen, aber wer „nur“ 3-4x pro Woche trainiert, hat in der Woche automatisch genügend Regenrationszeit eingebaut.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass manche Läufer durch eine diffuse (imho unbegründete) Angst vor Übertraining ihr langfristiges Entwicklungspotential nicht ausschöpfen. In der Regel setzt man seine kurzfristigen Ziele zu optimistisch und seine langfristigen (ich denke hier an Jahre) Ziele viel zu niedrig an.
Trotzdem ist es natürlich wichtig sich auch auf die Nicht-Trainingszeit zu konzentrieren. Gute Ernährung und ausreichend Schlaf können Wunder wirken.
Just my 2ct,
Jan
Hi Jan, vielen Dank für deinen Input! Ich sehe es aber tatsächlich anders als du: Für viele Freizeitsportler sind 3-4 Trainingseinheiten pro Woche durchaus viel und fordernd, sowohl körperlich als auch vom Kopf her. Die können davon genauso ausbrennen wie ein Spitzensportler von seinen 200 Wochenkilometern.
Aber selbst wenn Regenerationswochen auf diesem Niveau rein körperlich vielleicht nicht zwingend nötig wären, gibt es immer noch den mentalen Aspekt. Ich denke einfach, dass es eine gute Idee ist, dem Kopf alle paar Wochen einen „Break“ zu geben. Und schließlich machen solche ruhigeren Wochen auch oft wieder neue Lust aufs Laufen, man kommt aus der Routine raus und freut sich wieder richtig auf die nächsten, intensiveren Trainingswochen.
Sportliche Grüße
Daniel
Hallo Daniel,
da stimme ich zu. Man muss natürlich immer die Gesamtbelastung sehen. Der Körper unterscheidet nicht nach Trainings-/Arbeits-/Beziehgungs-/…/-stress. Man kann (z.B. durch einen überfordernden Job) auch ganz ohne Training ausbrennen. Da hilft dann aber auch keine Regenerationswoche, die sich nur auf das Training bezieht, alle anderen Belastungen z.B. in Job oder Familie aber hoch lässt.
Dafür wurde der klassische Urlaub erfunden! 🙂
Besten Gruß,
Jan
Hallo,
ein, wie ich finde sehr wichtiger Artikel. Gerade in unserer heutigen Gesellschaft wo nur noch nach Leistung bewertet wird. Das fängt auf der Arbeit an mit Bewerten der Überstunden und hört beim Freizeitstress auf. Ich habe mir Ende des Jahres bewusst eine Laufpause genommen. Habe aber nicht aufgehört zu trainieren, sondern habe den Umfang runtergefahren und nur noch Grundlagenbereich trainiert. Zwei Monate lang.Das ist eine aktive Regeneration und tat echt gut. Fühle mich jetzt fitter und leistungsstärker und kann die nächsten Laufherausforderungen annehmen. Den Schlaf vergessen die meisten, er ist genauso wichtig für einen Leistungsfähigen Körper.
Viele Grüße
Oliver
Seit eine Woche arbeite ich wieder …..nach 14 Jahre Pause ….14 Jahre , wo ich immer Zeit für meine Hobby gefunden habe ! Obwohl ich nur 45 Stunde pro Monat arbeite , muß ich wieder alles organisieren um Zeit zu finden . Die letzte Woche habe ich 2 mal mein Laufstraining abgesagt ABER nach diese Pause , habe ich mich echt gefreut wieder zu laufen , war schneller und bin mit Lust gelaufen ….einfach genießen !!!! Pause tut gut ….
Hallo ihr beiden,
ihr habt so Recht mit dem Artikel. Leider ist die Ruhe in unserer Gesellschaft nicht wirklich gut angesehen und das färbt eben auf einen ab, auch wenn man sich vornimmt, sich Zeit für sich zu nehmen.
Im Training musste ich einige Male auch erst mit Erkältungen oder Schmerzen daran erinnert werden, dass bessere Leistung vor allem NACH dem Training, in der Erholungsphase entsteht.
In Chrisie Wellingtons Buch „A Life Without Limits“ ist das auch ganz toll beschrieben, selbst sie musste das erst lernen (und sie muss es jetzt ja wissen 😉 )
Wir können uns halt nicht jeden Tag ans Limit puscheln, ähm, pushen. Auch und gerade das ausruhen hat einen leistungsfördernden Effekt (und ein Kakao vor dem Kamin ist einfach toll).
Schönen Abend noch 😉
Hallo Isa,
das Training einer Wellington ist wohl nur schwierig auf uns Normalsterbliche übertragbar.
Gerade Elitesportler zeigen ja was mit systematischem und langfristigem Aufbau alles möglich ist bzw. wäre, so man denn möchte. Im absoluten Spitzenbereich spielt natürlich zusätzlich auch noch genetische Veranlagung eine Rolle.
Wenn (!) man seine eigenen Grenzen austesten möchte, darf man meiner Meinung nach über die notwendige regelmäßige Regeneration die systematische langfristige Trainingsprogression nicht vergessen.
Just my 2ct,
Jan
Ein sehr wichtiges Thema, gerade in der Hobby-Sportler-Szene in der oft Pausen und Aussetzer als ganz schlecht gelten. Ich habe früher 3 x die Woche Kampfsport gemacht, teilweise trotz Krankheit und Schmerzen, dazu bin ich noch gelaufen, geschwimmen und Rad gefahren. Ich habe erst durch eine Vollbremse (Pfeiffersches Drüsenfieber, danach jahrelang chronisches Erschöpfungssyndrom und dadurch bedingt „nur“ noch eine 32-Stunden-Woche) gelernt auf mich zu hören. Nach über 4 Jahren bin ich wieder so weit, dass ich Gas geben kann – aber das mache ich inzwischen nur noch wenn ich will. Und Trainier, die mich anschreien, das ich meinen A**** hochkriegen muss, die kann ich inzwischen sowas von gut entbehren und ignorieren. Mich erstaunt und schockt es nur immer wieder, wie viele in dieser Aktiv-Falle sind und auch bleiben.
(das mit den Trainern ist nicht auf euch bezogen!!!)
Hallo Aurora, vielen Dank für deinen Beitrag! Es wird ja viel über Sportsucht geschrieben. Meiner Meinung nach wird es dann zum Problem, wenn man Angst davor hat, die antrainierte Leistungsfähigkeit wieder zu verlieren. Dabei ist es ja ganz normal, dass die Leistungskurve wellenförmig verläuft und nicht wie eine Gerade immer nur ansteigen kann.
Persönlich habe ich übrigens nichts gegen einen gepflegten Tritt in den A**** und gegen einen Leistungsgedanken auch bei Hobbysportlern, wenn das Maß stimmt und ein Augenzwinkern dabei ist. Es ist aber wichtig, dass man immer die Kontrolle behält und weiß, wann man mal einen Gang zurückschalten sollte.
Sportliche Grüße
Daniel