Einfach das essen, worauf man gerade Lust hat, ohne Kalorienzählen und Verbote … und dem Körper dabei auch noch etwas Gutes tun? Das klingt verlockend, und genau deshalb ist das Thema „intuitive Ernährung“ seit einigen Jahren in den sozialen Medien so präsent. Doch wie bei vielen Ernährungstrends mischen sich dort fundierte Informationen mit jeder Menge Halbwissen.
Was viele nicht wissen: Das Konzept der intuitiven Ernährung ist keine neue Erfindung, sondern geht auf die beiden amerikanischen Ernährungswissenschaftlerinnen Evelyn Tribole und Elyse Resch zurück, die es bereits in den 1990er Jahren erdacht und seitdem kontinuierlich weiterentwickelt haben.
In ihrem Buch Intuitive Eating: A Revolutionary Program That Works* (auf Deutsch: Intuitiv essen. Schluss mit dem Diätwahn: Genuss ohne schlechtes Gewissen*) beschreiben sie einen Weg raus aus der Diätspirale und hin zu einem Essverhalten, das sich an inneren Signalen wie Hunger, Sättigung und Zufriedenheit orientiert.
Was dabei ganz wichtig ist und oft missverstanden wird: Es geht bei intuititiver Ernährung in diesem ursprünglichen Sinn explizit NICHT ums Abnehmen. „Intuitiv essen“ ist kein Diätbuch, es ist kein Ratgeber zum Idealgewicht! Stattdessen geht es darum, zu einem selbstbestimmten, achtsamen und entspannten Umgang mit der Ernährung und dem eigenen Körper zurück zu finden.
Dass der Titel der deutschen Ausgabe bislang „Intuitiv abnehmen“ lautete, und auch die Neuauflage nicht ohne den Bezug zum „Diätwahn“ auskommt ist in meinen Augen entlarvend. Denn dass „Diät“ auch dann zieht, wenn es eigentlich ums genaue Gegenteil geht, sagt viel über unsere gesellschaftliche Fixierung auf Schlankheit und Selbstoptimierung aus.
Als Diplom-Oecotrophologin finde ich dieses Thema sehr wichtig und möchte dir deshalb das Buch und das dahinterstehende Konzept in diesem Beitrag etwas genauer vorstellen.
Für wen ist „Intuitiv essen“ geeignet – und für wen eher nicht?
„Intuitiv essen“ richtet sich an alle Menschen, für die sich Ernährung wie ein ständiger Kampf gegen den eigenen Kopf und Körper anfühlt, und die stattdessen eine entspannteres, achtsameres und damit auch gesünderes Verhältnis zum Essen entwickeln möchten.
Das Buch kann besonders hilfreich sein, wenn du …
- dich in einem Kreislauf aus Diäten, Verzicht und anschließendem „Kontrollverlust“ wiederfindest,
- ständig darüber nachdenkst, was, wann und wie viel du essen „darfst“,
- dich nach einem genussvollen, aber zugleich gesundheitsbewussten Umgang mit Ernährung sehnst,
- neugierig bist, wie es sich anfühlt, dem eigenen Körper (endlich wieder) zu vertrauen.
Auch wenn du dich selbst nicht als vom „Diätwahn“ betroffen siehst, lohnt sich ein Blick ins Buch. Diätmentalität steckt oft tiefer in uns drin, als wir glauben, zum Beispiel in Gedanken wie: „Das sollte ich jetzt eigentlich nicht essen“ oder „Heute muss ich ein paar Kilometer mehr laufen, damit ich mir das Stück Kuchen leisten kann.“ Solche Denkmuster können ein Hinweis darauf sein, dass deine Ernährung und dein Körperbild von äußeren Regeln bestimmt werden.
Nicht empfehlen würde ich das Buch, wenn du aktuell an einer Essstörung leidest oder in der Vergangenheit betroffen warst und weißt, dass du gefährdet bist, rückfällig zu werden. In solchen Fällen sollte eine medizinische oder therapeutische Begleitung an erster Stelle stehen. Intuitiv essen kann dann zwar eine hilfreiche Ergänzung sein, aber kein Ersatz für professionelle Hilfe.
Auch wer auf der Suche nach einem klar strukturierten Ernährungsplan, festen Regeln oder einer Liste „guter“ oder „schlechter“ Lebensmittel ist, wird hier nicht fündig. Das Buch ist kein Ernährungsratgeber, sondern eine Einladung zur Selbstreflexion, zur Selbstfürsorge und zu einer neuen Beziehung zum eigenen Körper. Dieser Prozess ist nicht immer leicht und dauert oft länger, als man sich wünscht.
Aber er lohnt sich, denn meiner Meinung nach kann man nur dann zu einer gesunden Ernährung finden, wenn man zuerst eine gesunde Einstellung zur Ernährung entwickelt hat.
Die 10 Prinzipien des Intuitiven Essens
Vielleicht fragst du dich jetzt: Wie funktioniert das denn konkret – intuitiv essen? Soll ich jetzt einfach immer essen, wann und worauf ich Lust habe?
Ganz so einfach ist es nicht. Damit du einen Eindruck von den Grundlagen des Konzepts bekommst, stelle ich dir die 10 Prinzipien des intuitiven Essen vor, die das Herzstück des Buchs bilden. Diese Prinzipien sind keine starren Regeln, sondern dienen als Orientierung auf dem Weg zu einem selbstbestimmten und entspannten Umgang mit der Ernährung.
Hier sind sie (frei übersetzt und interpretiert):
1. Verabschiede dich von der Diätmentalität
Diäten, Kalorienzählen und Abnehmversprechen entfernen dich von deiner Intuition.
2. Höre auf deine Hungersignale
Lerne, die Signale deines Körpers zu erkennen und auf sie zu reagieren.
3. Schließe Frieden mit dem Essen
Alle Lebensmittel sind erlaubt. Verbote führen oft zu Heißhunger und Schuldgefühlen.
4. Hinterfrage die innere Ernährungspolizei
Diese Stimme in deinem Kopf, die dir einredet, was „gut“ oder „schlecht“ ist, darf leiser werden.
5. Spüre, wann du satt bist
Satt ist nicht gleich „Teller leer“. Achtsames Essen hilft, das eigene Sättigungsgefühl wahrzunehmen.
6. Erlaube dir Genuss und Zufriedenheit
Essen darf (und soll!) Freude machen – das verhindert Heißhunger und hilft bei der Selbstregulation.
7. Finde neue Wege im Umgang mit Gefühlen
Essen ist kein Ersatz für Nähe, Trost oder Erholung. Gefühle brauchen andere Ausdrucksformen.
8. Respektiere deinen Körper
Du musst deinen Körper nicht lieben, aber ihn respektieren und akzeptieren lernen.
9. Bewege dich, weil es dir guttut
Nicht um Kalorien zu verbrennen, sondern um dich lebendig zu fühlen.
10. Achte auf deine Gesundheit – ohne Zwang
Es geht um Wohlbefinden, nicht um Perfektion. Extreme sind fehl am Platz.
Die 3 größten Missverständnisse über intuitives Essen
Auch wenn das Konzept immer bekannter wird, kursieren nach wie vor viele Missverständnisse rund um das intuitive Essen. Drei davon begegnen mir besonders häufig, und ich möchte sie hier gerne etwas näher beleuchten.
Kann ich dann einfach nur noch Schokolade, Chips und Pizza essen?
Ja und nein.
Gerade in der Anfangsphase kann es gut sein, dass du dich verstärkt zu genau den Lebensmitteln hingezogen fühlst, die du dir über Jahre hinweg verboten hast. Und das ist auch völlig okay! Denn nur wenn du dir wirklich die Erlaubnis gibst, diese Lebensmittel zu essen, verliert das Verbot seinen Reiz. Die Erfahrung zeigt: Mit der Zeit pendelt sich das Essverhalten wieder ein, und du wirst feststellen, dass dein Körper sich auch nach Frische, Nährstoffen und Abwechslung sehnt.
Daniel und ich machen diese Erfahrung regelmäßig nach dem Urlaub. Und zwar besonders dann, wenn wir im Hotel essen und die Auswahl nicht selbst in der Hand haben. Nach ein paar Tagen voller Buffets und schweren Speisen sehne ich mich regelrecht nach einfachen, frischen Mahlzeiten.
Und noch ein Beispiel aus meiner Jugend: Als ich 17 war, hatte ich einen Ferienjob, bei dem ich für Messeveranstaltungen hochwertige Schokolade und Pralinen verpackt habe. Wir durften damals so viel davon essen, wie wir wollten. Nach dem ersten Tag konnte ich keine Praline mehr sehen und habe monatelang keine Schokolade mehr angerührt. Der Reiz war komplett weg.
Intuitives Essen heißt, ich kann völlig planlos essen.
Auch das ist ein Missverständnis. Natürlich geht es beim intuitiven Essen darum, auf die inneren Signale zu hören. Also zu essen, wenn du Hunger hast, und das, worauf du Lust hast. Aber das bedeutet nicht, dass du auf Struktur, Planung oder Vorbereitung verzichten musst. Im Gegenteil: Ein achtsamer Umgang mit dem eigenen Essverhalten kann sehr wohl bedeuten, dass du regelmäßig einkaufst, Mahlzeiten vorbereitest oder Snacks für unterwegs einpackst.
Struktur kann unterstützend wirken, solange sie flexibel bleibt und sich an deinen Bedürfnissen orientiert. Intuitiv essen heißt nicht Chaos, sondern Selbstbestimmung. Und die schließt praktische Planung mit ein.
Intuitives essen funktioniert nur, wenn ich sowieso schon schlank bin
Ein weit verbreiteter, aber falscher Gedanke. Intuitiv essen richtet sich explizit an Menschen jeder Körperform und jedes Gewichts. Das Ziel ist eben nicht Gewichtsverlust, sondern ein gesundes, achtsames Verhältnis zum eigenen Körper und zur Ernährung.
Der Gedanke, dass nur schlanke Menschen intuitiv essen können oder dürfen, ist selbst ein Ausdruck der Diätmentalität, die das Buch zu durchbrechen versucht. Tatsächlich profitieren gerade Menschen, die lange unter dem Druck äußerer Erwartungen standen oder sich immer wieder mit restriktiven Diäten gequält haben, besonders stark von diesem Ansatz. Intuitives Essen ist kein Privileg, sondern ein natürlicher Zugang zu Ernährung, den wir alle wiederfinden können.
Intuitiv essen: Mein persönliches Fazit
Was ich am Konzept des intuitiven Essens besonders schätze, ist sein Fokus auf die Beziehung, die wir zu Ernährung und Körper haben, und nicht auf das „Was“ und „Wie viel“. Es geht darum, den Stress, die Schuldgefühle und die strikten Regeln hinter sich zu lassen, die viele mit dem Thema verbinden, und stattdessen wieder ein Gespür für die eigenen Bedürfnisse zu entwickeln.
Es ist eine Überzeugung, die ich mit Daniel teile: Nur wer eine gesunde Einstellung zur Ernährung hat, kann sich auch langfristig gesund ernähren. Und in dieser Hinsicht kann intuitives Essen ein echter Gamechanger sein.
Aber (und das ist mein Kritikpunkt) es greift zu kurz, davon auszugehen, dass wir allein durch das Wiederentdecken unserer Intuition automatisch zu einer nährstoffreichen, ausgewogenen Ernährung finden. Wir leben heute in einer Umgebung, die unsere Intuition systematisch untergräbt: Hochverarbeitete Lebensmittel, Snacks, Fertiggerichte und zuckrige Getränke sind so konzipiert, dass sie unser natürliches Hunger- und Sättigungsempfinden aushebeln … mit dem Ziel, dass wir mehr davon konsumieren, als uns guttut.
In dieser Welt reicht es oft nicht, sich nur auf die eigene Intuition zu verlassen. Es braucht Wissen und manchmal auch bewusste Entscheidungen gegen das spontane Bauchgefühl. Die 10 Prinzipien können dabei helfen, aus einem belasteten Verhältnis zum Essen auszusteigen, aber sie sind nicht automatisch ein Garant für eine gesunde Ernährung.
Deshalb sehe ich intuitives Essen als Teil eines zweistufigen Prozesses: Im ersten Schritt kann es helfen, die eigene Beziehung zum Essen zu heilen und Frieden mit dem Körper zu schließen. Erst auf dieser Basis können wir im zweiten Schritt zu einer Ernährung finden, die die uns auch wirklich „nährt“ – ohne dabei wieder in problematische Denkmuster, Zwänge und Dogmen zu rutschen.
Intuitiv essen. Schluss mit dem Diätwahn: Genuss ohne schlechtes Gewissen* ist 2024 im Goldmann-Verlag erschienen (ISBN: 978-3-442-18020-2).
Meine Frage an dich: Wie stehst du zum Konzept des intuitiven Essens? Ist das etwas, was du sowieso schon machst? Oder kannst du es dir vielleicht gar nicht für dich vorstellen? Ich freue mich über viele Rückmeldungen. Es gibt kein Falsch oder Richtig, sondern nur individuelle Erfahrungen.



Guten Morgen,
ich hinterfrage mein Essverhalten mal kritisch, nachdem ich Deinen Beitrag gelesen habe.
Einerseits esse ich spontan, habe aber leider immer Angst, „zu dick“ zu werden. Ich versuche, 16:8 und wenig(er) Alkohol, so gut wie kein Fleisch, wenig Milchprodukte und stolpere mit meinen Gedanken immer über „darf“ ich das jetzt essen… eigentlich mehr oder weniger also das, was Du in Deinem Beitrag beschreibst.
Ich denke auch, dass wir uns zu wenig Gedanken machen, was ist in unserem Essen alles drin – weil es gesund ist oder weil der Produzent damit den Konsum und damit seinen Gewinn steigern will?
Mein Vertrauen in die Lebensmittel-industrie ist definitiv immer weiter am schwinden.
Ich stelle es mir sehr schwierig vor, mich intuitiv mit Fertigprodukten gesund und ausgewogen zu ernähren. Ich koche fast immer selbst und versuche zuhause ein Angebot an Obst und Gemüse zu haben, um „einfach“ zugreifen zu können.
Das Außer-Haus-Angebot ist da leider immer wieder sehr verlockend.
Ich würde mir wünschen, in der Schule fände mehr Vermittlung von Grundlagenwissen zu Lebensmitteln und Ernährung statt.
Danke für Eure immer wieder guten Anregungen und Hintergrundinformationen.
Herzlichst
Elke R.
Hallo Elke,
das Thema ist sehr komplex und nicht einfach. Wenn du fast immer selbst kochst und zu Hause möglichst auf Obst und Gemüse zurückgreifst, dann machst du schon sehr viel richtig.
Sicherlich freut es dich, dass wir das Thema „verarbeitete Lebensmittel“ ganz bald noch mal im Podcast aufgreifen. Hab noch ein wenig Geduld, es dauert nicht mehr lange. Aber so viel sei schon mal gesagt: auch das Thema ist superkomplex, weil es (fast) unmöglich ist, sich komplett ohne verarbeitete Lebensmittel zu ernähren.
Liebe Katrin, lieber Daniel
Ich ernähre mich seit ca 6 Jahren auch vegan, Pilates, Laufen, Yoga.
Nie Beschwerden bezüglich Wechseljahre. War alles super. Bin 53 Jahre.
Esse sehr viel Gemüse auch roh, ganz intuitiv. Bunt. Viel Hülsenfrüchte. Viel Chili 🌶️🤪 morgens auch mal 1 Bund Petersilie oder 1 Bund Dill über die trockenen Haferflocken…….der Heisshunger weisst mir den Weg zu bestimmten frischen Produkten. Nichts aus der Verpackung.
Ich musste in den letzten 5 Monaten lernen, das es Lebensphasen gibt,
(Pubertät , seelischer Stress, Schwangerschaft)…bei mir waren es die Wechseljahre, dass ich plötzlich Heisshunger auf Eier hatte.😳
Aufgrund muskulärer Beschwerden habe ich Eier wieder integriert. Bewusst 1 mal die Woche maximal….wenn ich Appetit darauf habe. Aber ein gutes Ei vom „Demeterbauer“ .
Das gehört für mich in der Lebensphase zum intuitiven Essen. Ist mir anfangs schwer gefallen, habe ich aber gebraucht.
Habe jetzt verstanden das veganes Essen nicht auf ewig „in Stein gemeisselt“ sein sollte.
Ganz liebe Grüsse…..(danke für den tollen Stretchkurs.)
Silly
Hallo Silly,
wie schön dass du für dich einen guten Weg gefunden hast (auch wenn ich mir nach 15 Jahren nicht mehr vorstellen kann, wieder Eier zu essen). Aber Ernährung ist etwas persönliches, und wenn dir gelegentlich Eier gut tun, dann machst du damit sicherlich alles richtig!
Und danke für das Lob zu STRETCH 🙂