Im Oktober 1997 habe ich in Gießen mit meinem Studium angefangen: Haushalts- und Ernährungswissenschaften, Fachrichtung Ernährungswissenschaft.
Mein Ziel damals? Klassische Ernährungsberatung. Dass ich während meines Studiums meinen Berufswunsch mehrfach geändert und auch danach erst mal viele Jahre ganz andere Dinge gemacht habe als heute gehört doch irgendwie dazu, oder?
Vor einigen Tagen habe ich mal wieder an mein Studium gedacht – und daran, was ich damals über vegane Ernährung gelernt, beziehungsweise nicht gelernt habe.
Vegane Ernährung? Kein Interesse …
Damals hat mich vegane Ernährung nicht sonderlich interessiert. Heute ist sie ein wichtiger Teil meines Lebens: Ich ernähre mich seit 2010 vegan und schreibe seit November 2011 zusammen mit Daniel diesen Blog, auf dem die vegane Ernährung eine wichtige Rolle spielt. Ohne unsere Entscheidung für die vegane Ernährungs- und Lebensweise würdest du jetzt gerade etwas anderes tun als meine Zeilen zu lesen, denn diesen Blog würde es nicht geben.
Wenn ich mich mit Freunden und Bekannten über ihr Studium oder ihre Berufsausbildung unterhalte gewinne ich häufig den Eindruck, dass viele nur einen kleinen Teil des Gelernten später im Job wirklich benötigen.
Man könnte denken, dass das bei mir anders ist – immerhin schreiben wir hier auf dem Blog viel über Ernährung.
Aber was habe ich im Studium eigentlich über vegane Ernährung gelernt? Und was nicht? Gibt es Dinge, die ich damals schon gerne gewusst hätte? Und wie wurde die vegane Ernährung damals von Professoren und Dozenten vermittelt?
Vegan = blässlich, mager, kein Spaß im Leben
Um es gleich vorweg zu nehmen: Die vegane Ernährung kam bei mir im Studium nicht sonderlich positiv weg. Und das hatte nicht nur mit dem Lehrstoff in Vorlesungen und Seminaren zu tun.
Unter meinen Kommilitonen und Kommilitonen waren einige Vegetarier – bei einem Frauenanteil von 90% kein Wunder. Aber Veganer waren damals auch unter Ernährungsinteressierten noch Exoten.
Der erste Veganer, den ich persönlich kannte, war dann tatsächlich ein Mitstudent. Dieser Veganer war Rohköstler und ich habe ihn sehr blässlich und abgemagert in Erinnerung. Habe ich ihn jemals lachen gesehen? Nein, nie. Natürlich nicht!
Also war mein Bild von Veganern beeinflusst durch diese eine Person, und für mich waren Veganer blässliche und abgemagerte Menschen, die keinen Spaß im Leben haben. Hm, das habe ich doch irgendwo schon mal gehört …
5 Dinge, die ich heute besser weiß als damals
Ich muss zugeben, dass ich in mittelmäßig vorbereiteten, 90-minütigen Vorlesungen eine miserable Zuhörerin war – das hat sich bis heute nicht geändert. Einige „Highlights“ aus meinem Studium sind mir aber gut in Erinnerung geblieben. Vor allem Dinge, die ich heute besser weiß als damals.
1. Veganer müssen nicht speziell auf Eiweiß achten.
Mittlerweile höre ich den Satz „Und woher bekommst du dein Eiweiß?“ nicht mehr ganz so häufig wie noch vor einigen Jahren. Wer sich etwas mit dem Thema Ernährung auseinandersetzt weiß mittlerweile, dass Eiweiß nicht nur in Fleisch, Fisch und Milch, sondern auch in Hülsenfrüchten und vielen andere pflanzlichen Lebensmitteln enthalten ist.
Drohender Eiweißmangel war damals ein Argument, das gegen die vegane Ernährung ins Feld geführt wurde. Heute weiß ich, dass es nahezu unmöglich ist, zu wenig Eiweiß zu bekommen, wenn man insgesamt genügend Kalorien zu sich nimmt (und nicht unter einer chronischen Krankheit leidet).
Solltest du dir unsicher sein, ob du ausreichend mit Eiweiß versorgt bist, dann führe doch mal für einige Tage ein Ernährungstagebuch und berechne den Kalorien- und Eiweißgehalt deiner Ernährung (zum Beispiel mit der Cronometer-App).
Die wichtigsten Fakten zur Eiweißversorgung bei veganer Ernährung haben wir in diesem Beitrag für dich zusammengefasst.
2. Wenn du Fleisch isst, bist du nicht automatisch gut mit Eisen versorgt.
Fleisch, noch besser rotes Muskelfleisch, wird oft als die Eisenquelle schlechthin genannt. Ja, Fleisch enthält Eisen. Und ja, Eisen aus Fleisch ist besser verwertbar als das Eisen aus pflanzlichen Lebensmitteln.
Im Umkehrschluss bedeutet das aber nicht, dass du automatisch gut mit Eisen versorgt bist wenn du regelmäßig Fleisch isst. Und es bedeutet auch nicht, dass es unmöglich ist, als Veganer genügend Eisen zu sich zu nehmen.
Was ich gerne im Studium gelernt hätte: Veganer sind oft besser mit Eisen versorgt als Vegetarier. Warum? Für viele Vegetarier sind Milch und Milchprodukte sowie Eier ein wichtiger Bestandteil der Ernährung. Diese Lebensmittel enthalten aber kein Eisen. Veganer essen weder Milchprodukte noch Eier und nehmen häufig mehr Energie aus eisenreichen Lebensmitteln wie grünem Blattgemüse, Hülsenfrüchten und Getreide zu sich.
Wie du deine Eisenversorgung mit einer pflanzlichen Ernährung sicherst zeigen wir dir in diesem Beitrag.
3. Veganer sind keine mangelernährten Waschlappen.
„Veganer sind mangelernährt.“ Dieser Satz kann nur von jemandem kommen, der kein Interesse daran hat, sich wirklich mit vegan lebenden Menschen auseinanderzusetzen.
Heute kennt fast jeder ein paar Veganer. Und wer sich mal im Freundes-, Bekannten- oder Kollegenkreis umschaut, der wird dort wohl kaum einen dieser mangelernähren, bleichen Veganer mit brüchigen Nägeln und schütterem Haar finden, von denen in entsprechenden Online-Diskussionen ständig die Rede ist.
Natürlich ist nicht jeder Veganer automatisch eine super-gesunde Sportskanone. Es gibt unter den Veganern absolute Couch-Potatos, Gelegenheitsjogger und Ultramarathonläufer, es gibt Fast-Food-Junkies und Super-Ernährungsbewusste. Also alles genau so wie bei den Nicht-Veganern.
Aber wenn man mit veganer Ernährung eine Ultramarathon-Legende (Scott Jurek) oder der stärkste Mann Deutschlands (Patrik Baboumian) werden kann, dann kann das mit der Mangelernährung irgendwie nicht so ganz stimmen.
4. Veganer sind keine verrückten Hippies, die verantwortungslos mit ihrer eigenen Gesundheit (und der ihrer Kinder) umgehen.
Eine Anekdote aus meinem Studium: Ein Professor für Kinderernährung warnte vor veganer Ernährung für Säuglinge, Kleinkinder, Schwangere und Stillende. Er berichtete von einem Fall, bei dem das Kind einer Veganerin Vitamin B12-Mangelerscheinungen zeigte, die Mutter sich aber vehement dagegen wehrte, bei ihrem Kind Vitamin B12 zu supplementieren.
Das Bild, was bei mir hängen blieb: Veganer sind weltfremde Hippies, die ihre ideologischen Vorstellungen einem gesunden Leben voranstellen und verantwortungslos das Wohl ihrer eigenen Kinder aufs Spiel setzen.
Ja, solche Spinner mag es geben – aber sie sind eine winzige Minderheit, und nicht nur unter Veganern anzutreffen.
Die Veganer, die ich bis heute kennen gelernt habe (und das sind nicht wenige), sind zum größten Teil besser über Ernährung informiert als meine nicht-veganen Bekannten.
5. Kalorien und Nährstoffe zählen ist nicht alles.
Im Studium habe ich natürlich eine Menge über einzelne Nährstoffe gelernt. Gelernt ist untertrieben. Es gab Zeiten, da kannte ich für jedes Vitamin und jeden Mineralstoff die Verzehrsempfehlungen für jede Altersgruppe. Außerdem hätte man mich mitten in der Nacht wecken können und ich hätte Funktion, Mangelerscheinungen, die besten Lebensmittelquellen und alles, was sonst noch dazu gehört, aufsagen können.
Doch wer berechnet schon am Ende des Tages, wie viel mg Calcium im Essen war oder ob das Verhältnis von Kohlenhydraten, Fetten und Eiweißen gepasst hat?
Klar, es ist wichtig, sich mit einzelnen Nährstoffen im Detail zu beschäftigen, zum Beispiel wenn die Blutwerte zu gering sind oder sich Mangelerscheinungen bemerkbar machen. Und es gibt Leute, die nur durchs Kalorienzählen zum gewünschten Abnehmerfolg kommen.
Aber wenn ein solcher konkreter Grund für die Nährstoffzählerei fehlt, dann sollte etwas anderes im Vordergrund stehen: der Genuss.
Und Genuss ist etwas, das man nicht mit Zahlen benennen kann – und das leider häufig auf der Strecke bleibt, wenn man sich zu sehr an Zahlen und „optimalen“ Nährstoffverhältnissen festklammert.
Wissen ist gut, Wissen ständig hinterfragen noch besser
Ich weiß nicht, wie die gut oder schlecht die vegane Ernährung heute im ernährungswissenschaftlichen Studium wegkommt. Ich bin mir sicher – oder ich hoffe es zumindest – dass sie heute anders behandelt wird als noch Ende der 1990er Jahre.
Rückblickend finde ich es schade, dass die vegane Ernährung in meinem Studium so wenig thematisiert wurde. Und dass ich den Lernstoff einfach so hingenommen habe, ohne ihn näher zu hinterfragen. Dabei gehört das kritische Hinterfragen ja gerade zu den Dingen, die man im Studium lernen sollte.
Okay, es geht ja auch nicht alles gleichzeitig. Und so bin ich froh, dass ich ein paar Jahre nach meinem Studium noch einmal offen an die vegane Ernährung herangegangen bin – und mir meine eigene Meinung dazu gebildet habe.
PS: Ich bin gespannt: Hast du ähnliche Erfahrungen gemacht? Wie hast du die vegane Ernährung und Lebensweise früher gesehen – und wie siehst du sie heute?
Ich habe mich nie mit den Worten, Vegetarier und Veganer beschäftigt. Vor 2 Jahren war es eine Erkenntnis, die es immer nur einmal zu geben scheint, „Es gibt keinen Grund andere Lebewesen zu essen und deren Produkte“. Das wars. In englisch: „there is no reason to eat each other“. Das war mein ausschlaggebende Nachricht und seitdem habe ich einen enormen Respekt für meine Umwelt aufgebaut. Ich bin stolz meiner Tochter erklären zu können was dieses Schnitzel ist und wie es auf den Teller am Nachbartisch gekommen ist. Sie ist fast 4 Jahre, sie weis was ein Tier ist und sie weis das es Gefühle hat und leben will. Jeder sollte achtsamer mit seiner Umgebung sein. Om. Eure Kerstin
@Kerstin Schmidt: Ist die Gefühlswelt der Tiere wirklich der ausschlaggebende Punkt? Es gibt gute Hinweise darauf, dass Pflanzen ein Sozialleben führen.
Die Trennlinie Tier:Pflanze ist genauso willkürlich wie Mensch:Tier.
Ich studiere seit Oktober Vegan Food Management – also DEN veganen Studiengang schlechthin. Und selbst hier kommt man als Veganer im Bereich Ernährungslehre nicht so super weg. Problem ist glaube ich hier, dass in Deutschland die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) die Zügel in der Hand hat und diese der veganen Ernährung nicht gerade positiv gegenübersteht.
Hallo Christina,
dann bist du ja eine der allerersten an der Uni mit dem Studiengang. Hat der Studiengang nicht erst im Oktober gestartet? Ich bin gespannt, wie sich das bei dir noch entwickelt – ich wünsche dir jedenfalls ein tolles Studium!
Aber schade dass auch bei dir die vegane Ernährung nicht so gut wegkommt, hätte ich mir anders vorgestellt.
Viele Grüße
Katrin
Das schlimmste ist – es wird immer noch genau so gelehrt. Ich habe erst in den letzten zwei Jahren meinen Ernährungsberater gemacht und immer noch gelernt, dass vegan kompliziert ist und man auf ganz viel achten muss. Zum Glück weiss ich es besser und kann es besser vermitteln 😉
Danke für den Artikel!
Hall Paula,
ja, leider hat sich da nicht überall etwas geändert. Ich hoffe aber, dass sich das ändert – wenn Institutionen wie die endlich mal über den Tellerrand schauen!
Viele Grüße
Katrin
Genau deshalb habe ich meine Ausbildung zum Ernährungsberater in der Akademie der Naturheilkunde in der Schweiz gemacht. Dort steht man der veganen Ernährung positiv gegenüber.
Hallo Max,
oh, das ist gut zu wissen. Dann bewegt sich ja endlich doch etwas, und ich hoffe, dass das von der Schweiz rüberschwappt.
Viele Grüße
Katrin
Hallo! Eine absolute Wahnsinnsseite! Mein Kompliment. Ich interessiere mich auch schon seit der siebten Klasse für Ernährung (heute bin ich 36 Jahre) und wollte dies studieren. Diverse Dinge haben mich immer davon abgehalten, vor allem das Fach Chemie. Dieses betrachten der einzelnen Komponenten, war mir zu starr! Nach vielen Jahren der internet Recherche, unzähligen Fachzeitschriften, zisch Bruker-und Dahlkebüchern, den Studienbriefen der natürlichen Gesundheitslehre, ca. 50 weiteren Büchern über Ernährung, bin ich auch bei der Ausbildung der Akademie der Naturheilkunde gelandet und auch bei der Veganen Ernährung gelandet. Mir platzt heute noch die Hutschnur, wenn ich Ökotrophologen sprechen höre, die sich vegane Ernährungsberater nennen, und die diese Ernährung immer wieder in den Schmutz ziehen, indem sie vergessen zu erwähnen, dass es auch in der Mischkost Mängel gibt. Ich hoffe daran ändert sich bald was, denn es ist deprimierend, dass nur solche Menschen bei Krankenkassen offiziell beraten dürfen! Ich habe mich selbstständig gemacht, halte Vorträge und berate Menschen. Aber nicht nur zur vegane Ernährung, bei mir muss niemand vegan werden, es ist aber schön, wenn sie es tun. 😀 Aber ich sehe es als wichtig an, dass wir der Welt erzählen, warum tierische Produkte nicht gesund sind. Nur so kann ein Umdenken in Gang gebracht werden!
Danke für diesen Beitrag,
Beste Grüße Eva
Liebe Eva,
vielen Dank für deinen Erfahrungsbericht, und freut mich, dass du auf deinem Weg „deine“ Passion“ gefunden hast.
Und ja, wir haben noch viel Arbeit vor uns, bis die vegane Ernährung in das richtige Licht gerückt wird, aber das ist ja auch schön!
Vielleicht laufen wir uns mal persönlich über den Weg – ich würde mich freuen!
Viele Grüße
Katrin