Es war ein Freitagabend im Mai 2014. Seit meiner Ankunft im Büro an diesem Morgen hatte ich mit einem mulmigen Gefühl an meinem Arbeitsplatz gesessen und das Unausweichliche immer weiter vor mir hergeschoben.
Jetzt, kurz vor Feierabend, musste es passieren. Ich fuhr meinen PC herunter, klopfte an die Tür meines Chefs … und überwand mich nach kurzem Smalltalk endlich dazu, die drei Worte auszusprechen, die mein Leben komplett verändern sollten:
„Ich werde kündigen.“
Katrin und ich hatten uns schon einige Wochen zuvor zu diesem Schritt entschlossen, und jetzt gab es also kein zurück mehr. Wir hatten noch etwas mehr als drei Monate Zeit, um den Start in das Abenteuer Selbständigkeit vorzubereiten. Dann würden wir auf uns allein gestellt sein: Adieu regelmäßiges Einkommen, hallo große Freiheit und Unsicherheit!
Am 1. Oktober 2014 war es schließlich soweit. Seitdem sind zehn Jahre vergangen, in denen wir unglaublich viel gelernt haben. Unsere wichtigsten Learnings – die sich auf fast alle Lebensbereiche übertragen lassen – möchte ich heute mit dir teilen.
Tipp: Wir haben auch eine Podcastfolge zu unserem Jubiläum aufgenommen, die du dir hier anhören kannst.
#1 Vorstellung und Realität klaffen oft weit auseinander.
Wir sind mit einer ganzen Reihe von Vorstellungen in unsere Selbständigkeit gestartet: Wie unser neuer Tagesablauf aussehen, woran wir arbeiten und wie sich das Leben ohne Chef anfühlen würde.
Die meisten davon haben sich als falsch herausgestellt.
Dass unsere Vorstellungen von der Zukunft mit der späteren Realität oft nur wenig zu tun haben, wissen wir schon so lange, dass es Sprichwörter darüber gibt: „Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt“ zum Beispiel. Oder das (fälschlicherweise) John Lennon zugeschriebene „Leben ist das, was passiert, während wir damit beschäftigt sind, andere Pläne zu schmieden.“
Und trotzdem fallen wir immer wieder darauf herein. Wir malen uns zukünftige Ereignisse aus, und sind dann enttäuscht, wenn sie von unseren Erwartungen abweichen. Oder wir lassen uns von Ängsten zurückhalten, die sich später als unbegründet herausstellen.
Unser Learning: Weniger in der Zukunft leben, mehr auf das Hier und Jetzt fokussieren.
#2 Lass dich nicht von deinem Selbstbild zurückhalten.
Ich erinnere mich an ein Gespräch während meines Studiums, in dem ich mich darauf festlegte, niemals eine Selbständigkeit anzustreben. Ich war damals der Meinung, dass sich das nicht mit meinem Bedürfnis nach Sicherheit und Planbarkeit vereinbaren ließe, und ich in einem klassischen Job als Angestellter besser aufgehoben wäre.
Heute fühlt sich die Selbständigkeit für mich an wie das Normalste der Welt. Ich würde nicht sagen, dass mir das Unternehmertum in die Wiege gelegt wurde, aber ich muss auch nicht Tag für Tag gegen mein inneres Angestellten-Naturell ankämpfen.
Unser Learning: Unser Selbstbild kann sich mit der Zeit verändern und wir sollten ihm deshalb nicht zu viel Macht über unsere Entscheidungen geben.
#3 Man muss die gewohnte Umgebung verlassen, um neue Ideen und Impulse zu bekommen.
Eine Selbständigkeit (und ganz allgemein ein selbstbestimmtes Leben) steht und fällt mit der Fähigkeit, Ideen zu entwickeln und Entscheidungen zu treffen. Wenn deine Kreativität ins Stocken gerät, oder du dir an einem Problem die Zähne ausbeißt, dann hilft es in der Regel nicht, sich an den Schreibtisch zu ketten und angestrengt nachzudenken. Geistesblitze und Aha-Momente lassen sich nicht erzwingen.
Was uns in diesen Situationen immer geholfen hat: Die gewohnte Umgebung zu verlassen und bei einem Spaziergang, einer Fahrradtour oder in einem gemütlichen Café die Gedanken treiben zu lassen. Der Tapetenwechsel hilft uns dabei, einen anderen Blick auf die Dinge zu entwickeln und um die Ecke zu denken.
Unser Learning: Das beste Denken passiert nicht am Arbeitsplatz. Und auch nicht am Küchentisch.
#4 Höhen und Tiefen wechseln sich im Leben ständig ab, auf das eine folgt unweigerlich das andere.
In den zehn Jahren unserer Selbständigkeit haben wir viele Erfolge gefeiert, sind aber auch durch ein paar Täler gegangen. Auf jede Hochphase folgten Zeiten, in denen wir an uns selbst und unserem Tun gezweifelt haben. Aber keine dieser Krisen dauerte länger als ein paar Wochen, bevor sich eine neue Tür öffnete, unsere Motivation zurückkehrte oder ein Projekt besser funktionierte als wir es uns erhofft hatten.
Man braucht natürlich keine Selbständigkeit, um zu lernen, dass auf jeden Regen Sonnenschein folgt (und umgekehrt). Es ist eine der Lektionen, die uns das Leben immer wieder aufs Neue lehrt. Das macht sie aber nicht weniger wertvoll.
Unser Learning: Wenn du das Gefühl hast, dass alles gegen dich läuft, wenn dich ein Schicksalsschlag getroffen hat oder du nicht weißt, wie es weitergehen soll – es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich das Blatt wendet, der Neuanfang gelingt oder sich die Klarheit bringende Erkenntnis einstellt.
#5 Körperliches und mentales Wohlergehen sind das Fundament für alles.
Wir haben in unserer Arbeit viel mit Menschen zu tun, die mit ganzem Herzen für eine Sache brennen: Aktivist*innen, die sich für die Rechte der Tiere einsetzen, kreative Köpfe und Unternehmer*innen, die die Welt mit ihren Ideen ein bisschen besser machen wollen, Sportler*innen, die ihre Grenzen ausloten und andere mit ihren Leistungen inspirieren.
Solche Menschen befinden sich oft auf einer Gratwanderung zwischen ihrer Leidenschaft auf der einen, und ihrer körperlichen und mentalen Gesundheit auf der anderen Seite.
Und wir selbst fallen natürlich auch in diese Kategorie. beVegt ist nicht nur irgendein Job für uns – es ist seit vielen Jahren unser Lebensmittelpunkt. Wir wollen damit so erfolgreich wie möglich sein, um möglichst viele Menschen mit unseren Botschaften zu erreichen und etwas zu bewegen.
Das ist oft unglaublich befriedigend, aber es treibt uns auch immer mal wieder an die Grenzen unserer Belastbarkeit und darüber hinaus. Wenn das passiert (und es uns nicht gut geht), dann leidet unsere Kreativität, unsere Motivation und schließlich unsere ganze Arbeit darunter.
Der Versuch, diese Abwärtsspirale mit noch mehr Feuer und Einsatz aufzuhalten führt in eine Sackgasse – im schlimmsten Fall brennen wir daran aus und können uns (vorübergehend oder dauerhaft) überhaupt nicht mehr für die Dinge einsetzen, die uns wichtig sind.
Unser Learning – vielleicht das wichtigste, das wir heute mit dir teilen möchten: Es ist kein Egoismus, wenn du dich zuerst um dich selbst kümmerst. Deine körperliche und mentale Gesundheit ist das Fundament für alles andere. Dein Einsatz für andere, für positiven Wandel in der Welt kann nur dann nachhaltig sein, wenn du dich selbst dabei nicht vergisst.
#6 Enttäuschungen gehören zum Leben dazu – wichtig ist, wie man darauf reagiert und damit umgeht.
Wir haben erst vor einigen Wochen eine große Enttäuschung in einer bislang vertrauensvollen Zusammenarbeit erlebt. Es war nicht die erste Enttäuschung unserer Selbständigkeit, und es wird ganz sicher nicht die letzte sein.
Enttäuschungen sind schmerzhaft, insbesondere wenn sie zwischenmenschliche Beziehungen betreffen. Sie können uns traurig, wütend oder ratlos machen. Sie können sich wie ein Schlag in die Magengrube anfühlen und uns regelrecht lähmen.
In einem gewissen Sinn treffen sie uns dann gleich mehrfach: Einmal wenn wir von ihnen erfahren, und ein zweites (und drittes, und fünftes) Mal, wenn wir über sie nachgrübeln, uns über sie ärgern und sie unseren Alltag und unsere Arbeit beeinträchtigen lassen.
Unser Learning: Hin und wieder enttäuscht zu werden ist ein unvermeidlicher Teil des Lebens. Wie wir mit einer Enttäuschung umgehen und welche Macht wir ihr zuteil werden lassen liegt aber bei uns. Das ist natürlich leichter gesagt als getan, aber wir versuchen, aus jeder Enttäuschung zu lernen, um in Zukunft mit mehr Gelassenheit reagieren zu können.
#7 Dauerhaftes Glück kommt nie von außen, sondern kann nur von innen kommen.
Der Schritt in die Selbständigkeit wird häufig als ein Ausbrechen aus dem Hamsterrad gefeiert. Es gibt unzählige selbsternannte Life-Coaches und Business-Gurus, nach deren Lehre man nur dann berufliche (und private) Erfüllung finden kann, wenn man sich aus den Fesseln der Nine-to-Five Arbeitswelt löst und „sein eigenes Ding“ durchzieht.
Lass es dir von zwei Menschen sagen, die das seit nunmehr zehn Jahren tun: Das ist Unsinn.
Wir sind wirklich dankbar für alles, was uns beVegt und unsere Selbständigkeit bislang gegeben und ermöglicht haben. Aber wir haben auch gelernt, dass sich dauerhaftes Glück nicht dadurch einstellt, dass man morgens aufstehen kann wann man will, keine Urlaubsanträge mehr einreichen muss und selbst entscheidet, woran man an einem beliebigen Tag arbeiten möchte.
Natürlich können uns ein finanziell erfolgreiches Projekt, eine spontane Fahrradtour unter der Woche oder die liebe Nachricht einer Leserin Glücksgefühle bescheren – aber diese Gefühle sind flüchtig, und wechseln sich immer wieder mit Unzufriedenheit, Ärger oder Zweifeln ab.
Deshalb reift in uns immer stärker die Erkenntnis, dass nachhaltiges Glück (oder Zufriedenheit, oder wie auch immer du es nennen möchtest), nur von innen kommen kann.
Unser Learning: Wir sollten das Glück nicht in Dingen, Errungenschaften oder Veränderungen suchen, sondern in unserem Inneren.
Wie du unsere Selbständigkeit unterstützen kannst
Wir hoffen, dass dir dieser Beitrag gefallen hat und du aus unseren Learnings auch die ein oder andere Anregung für dein eigenes Leben mitnehmen konntest. Wenn dir gefällt, was wir rund um beVegt tun, und unsere Arbeit unterstützen möchtest, dann gibt es dafür viele Möglichkeiten:
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Und natürlich, ganz kostenlos für dich: Empfiehl unseren Blog, unseren Podcast oder unseren YouTube-Kanal weiter und hilf uns auf diese Weise, mehr Menschen mit unserer Arbeit zu erreichen!
Thomas Schneider
Liebe Katrin, lieber Daniel, vielen Dank für diesen tollen Beitrag, aus dem ich sehr viel mitnehmen kann. Wie ich beim Laufwochenende im Juli kurz erwähnt habe, hat mein neuer Lebensabschnitt mit dem Vorruhestand begonnen. Ich habe viele Pläne und Ideen, auch zur Selbstständigkeit. Ich merke aber jetzt schon, dass es nicht so passiert, wie ich mir das alles vorgestellt habe in vielerlei Hinsicht…Euer Text macht mir Mut. LG Thomas
Daniel Roth
Lieber Thomas, jetzt hast du ja erstmal eine fantastische Reise vor dir. Das ist ein idealer Einstieg in diese neue Phase, war bei uns damals auch so (wir waren im September 2014 im amerikanischen Westen unterwegs). Und gerade in Südostasien haben wir immer viel übers Loslassen und Ablegen von Erwartungen gelernt 🙂 Wenn du dich mal zu deinen Ideen oder Herausforderungen mit der Selbständigkeit austauschen willst melde dich gerne bei uns!
Thomas Kramer
Hallo Ihr Beiden, Euer ehrlicher und menschlicher Text hier hat mich wirklich bevegt. Hier mein Kommentar auf fb dazu, wo ich die 7 Learnings von Euch soeben auf meiner privaten Seite geteilt habe:
„In seiner ganzen Art, wie es geschrieben ist, spricht mir das aus der Seele und deckt sich in so gut wie allen Punkten mit den eigenen Erfahrungen aus 10 Jahren Selbstständigkeit. 3 Minuten, die sich ehrlich, echt und gut anfühlen, und die Mut machen. Also lies es ruhig, ich teil ja sonst fast nichts :-)“
Liebe Grüße aus München/Fürth , Thomas
Daniel Roth
Lieber Thomas, wow – wir fühlen uns geehrt dass du unseren Text geteilt hast! Schön dass sich deine Erfahrungen so gut mit unseren decken, und auch an dich herzlichen Glückwunsch zu 10 Jahren Selbständigkeit und weiterhin viel Erfolg!
Kristina
Vielen Dank für diesen tollen Beitrag und die Offenheit!
Es hat mich sehr inspiriert, vor allem, weil bestimmt jeder das Gefühl nach einem Rückschlag kennt, einfach aufgeben zu wollen, obwohl man weiß, dass es nun nur noch besser werden kann.
Ich kann mir auch vorstellen, dass es sehr hilft zu zweit zu sein, wenn mal ein Rückschlag-Moment kommt, weil man sich gegenseitig motivieren kann am Ball zu bleiben, oder?
Herzliche Grüße
Kristina
Daniel Roth
Liebe Kristina, danke dir für deinen lieben Kommentar! Mit Rückschlägen umzugehen zu lernen ist nicht einfach, und auch wir können da noch viel lernen. Natürlich hilft es, wenn man sich gegenseitig wieder aufbauen kann, aber wir hatten auch schon Situationen, in denen wir beide frustriert waren und uns nicht wirklich untrestützen konnten. Es ist ein Prozess 🙂
Dein Blog gefällt mir übrigens super gut, hab ihn grade mal in meinem Feedreader abonniert!
Kristina
Vielen Dank für die Antwort! Das motiviert und macht Mut da mal die Erfahrungen von anderen zu hören.
Vielen Dank auch für die Rückmeldung zu meinem Blog, da freue ich mich gerade unglaublich drüber. 🙂
Marit
Hallo Daniel und Katrin,
danke für diese schöne Zusammenfassung. Auch wenn ich einen recht normalen Bürojob habe, konnte ich mit dieser Liste viel anfangen. Wie Daniel schreibt, kann man die Learnings gut auf andere Lebensbereiche übertragen. Und es hilft, solche Learnings immer mal wieder zu lesen und sich somit wieder ins Gedächtnis zu rufen!
Das Zitat „Leben ist das, was passiert…“ kommt tatsächlich aus einem Lied von John Lennon, „Watching the Wheels“. Sofern nicht jemand anderes als Lennon das Lied geschrieben hat, stammt das Zitat wirklich von ihm. Als Lennon-Fan musste ich dies anmerken 😉
Katrin Schäfer
Vielen Dank Marit – und genau so war es gedacht. Danke auch für die Aufklärung zur Herkunft des Zitats 🙂
Daniel Roth
Ich muss nochmal einhaken 🙂 Bei der Recherche für diesen Text bin ich nämlich auf die Info gestoßen, dass das Zitat bereits vor Lennon in diversen Zeitungen in Umlauf war. Möglicherweise wurde es zum ersten Mal von Allen Saunders verwendet: https://www.snopes.com/fact-check/john-lennon-life-happens-quote/